MANFRED NEBELIN: "LUDENDORFF"

Nun liegt nach großen Biographien zu Kaiser Wilhelm II. und Paul von Hindenburg auch für den dritten deutschen Hauptakteur im Ersten Weltkrieg eine solche vor: zu General Erich Ludendorff (1865-1937). Verfasst hat sie Manfred Nebelin, Historiker an der Technischen Universität Dresden.

"Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg" hat der Autor sie betitelt und weist damit bereits auf den Rang hin, den er dem machtvollen Ersten Generalquartiermeister beimisst. Zunächst aber schildert er die frühe Karriere des Gutsbesitzerssohn vom Kadetten bis zum Offizier im Großen Generalstab, wo kein Geringerer als Helmuth von Moltke (der Jüngere) sein Förderer war.

Es spricht für die militärischen Qualitäten des jungen Ludendorff, dass er als Bürgerlicher 1913 sogar in wesentlicher Rolle an der umfassenden Heeresreform mit wirken kann. Der erste Kriegsmonat von 1914 katapultiert ihn dann zum Kriegshelden mit dem Nimbus des Siegreichen. Erst gelingt ihm die handstreichartige Eroberung der belgischen Festung Lüttich und anschließnd ist er an der Seite Hindenburgs der eigentliche Sieger in der legendären Tannenbergschlacht, in der eine weit überlegene russische Armee vernichtend geschlagen wird.

Gezeigt wird nun, wie Ludendorff als treibende Kraft dafür sorgt, dass im Sommer 1916 der glücklose Feldmarschall Erich von Falkenhayn durch Hindenburg und ihn verdrängt wird. Forsch und rücksichtslos schwingt sich Ludendorff nun zu einer Machtfülle auf, die der Autor mit dem Begriff "Diktator" zwar etwas übersteigert, allerdings hatte weder vor noch danach ein Militär in deutschen Reihen eine solch weitreichende Macht weit über den militärischen Bereich hinaus. Sein Einfluss reicht so weit ins Politische hinein, dass er sogar den Rücktritt des Reichskanzlers Theobald von Bethmann-Hollweg bewirken kann.

Während das Militär quasi die Alleinherrschaft übernommen hat, unterlaufen Ludendorff auf dem Höhepunkt seiner Machtausübung entscheidende Fehler. So entfesselt er im Januar 1917 in unfassbarer Verkennung der Realität den totalen U-Bootkrieg, um den Hauptgegner Großbritannien in die Knie zu zwingen. Dass dies den Kriegseintritt der wirtschaftlichen und militärischen Großmacht USA bedeuten würde, tut er verächtlich als Hirngespinst ab. Die Folgen dieser leichtfertigen Unterschätzung sind bekannt.

Als der "Retter des Vaterlandes" schließlich zum Hasardeur wird und im März 1918 an der Westfront noch einmal alles auf eine Karte setzt, geht dies gründlich schief und die sogenannte zweite Marneschlacht im Sommer kostet ihn nicht nur den Sieger-Mythos, sie führt zu seinem rapiden Autoritätsverfall. Als er im Herbst nicht mehr verhehlen kann, dass der Krieg für Deutschland verloren ist, wird er zum Mitbegründer der "Dolchstoßlegende", nach der die Niederlage durch die politischen Kräfte in der Heimat verschuldet worden sei - welch folgenschwere Hypothek dies für die Weimarer Republik war, sollte sich dann fatal zeigen.

Während Historiker Nebelin bis hierhin auf Grundlage sehr umfangreicher Recherche der Daten- und Faktenfülle eine überzeugend genaue Biographie des zeitweiligen Quasi-Diktators vorlegt, fällt ein erhebliches Manko nun um so deutlicher ins Gewicht: sein ebenso wissenschaftliches fundiertes wie unterhaltsam zu lesendes Werk endet mit dem Kriegsende und selbst Ludendorffs schmähliche Flucht nach Schweden wird nur kurz angerissen. In den fast 20 Jahren, die Ludendorff noch weiterlebt, war er jedoch weder untätig noch ohne Einfluss und einer der entscheidenden Wegbereiter Hitlers.

Seine Pläne für ein "Imperium Germaniae" mit Lebensraum im Osten Europas wie auch seine sonstigen völkischen und antisemitischen Ideen flossen in die Entstehung des Nationalsozialismus ein. Wie Ludendorff ja auch 1923 am Novemberputsch an Hitlers Seite stand, 1925 für die NSDAP erfolglos für das Präsidentenamt kandidierte und seine Rolle als Kriegsheld von den Nazis vereinnahmt wurde.

Doch auch andere Fragen bleiben offen, denn weder wird sein ungemein wichtiges Verhältnis zu Hindenburg ausgeleuchtet noch die Art seines offenbar bis in höchste Kreise wirkmächtigen Charismas. Bleibt schließlich zu bemängeln, dass im Gegensatz zu den neueren Biographien zu Kaiser Wilhelm II. (Christoper Clark) und zu Hindenburg (Wolfram Pyta) der Privatmensch Ludendorff quasi nicht vorkommt, so dass der Leser fast ausschließlich den Uniformträger in Funktion und Wirkung kennenlernt, jedoch kaum die Person dahinter.

Fazit: das, was Manfred Nebelin hier vorlegt, ist ein fundiertes historisches Werk über den Kriegsherrn - eine Gesamtbiographie zum "ganzen" Erich Ludendorff einschließlich der Entschlüsselung seines Rätsels steht jedoch weiterhin aus.

 

# Manfred Nebelin: Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg; 750 Seiten; Siedler Verlag, München; € 39,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: Bio 284 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de