THOMAS WEBER: "HITLERS ERSTER KRIEG"

Als Adolf Hitler zum "Führer" aufstieg, spielte dabei der Mythos seiner Soldatenzeit eine überaus wichtige Rolle. Eine NSDAP-Zeitung postulierte es in den 30er Jahren drastisch: Hitler habe im Ersten Weltkrieg "in Blut und Schlamm das Recht erworben, im Namen der Frontgeneration zu sprechen und das Vermächtnis von zwei Millionen Gefallenen zu erfüllen."

Hitler also ein Kriegsheld? Schließlich wurde er zweimal an der Westfront verwundet und erblindete sogar zeitweise nach eine Giftgasangriff. Und wurde als einfacher Gefreiter mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Daraus strickten die Nazis den Mythos des todesmutigen Frontsoldaten, der als Meldegänger vier Jahre lang sein Leben für das Vaterland riskiert hatte.

Thomas Weber, deutscher Historiker an der schottischen Universität von Aberdeen, hat nun genau dieses Phänomen untersucht, das selbst große Hitler-Biographen wie Joachim Fest oder Ian Kershaw seltsam unreflektiert aus den Schilderungen der Nazi-Propaganda übernommen haben. Mag es aus dieser Zeit, aus der Hitler so viel Kapital schlug und angeblich auch seinen Antisemitismus und Nationalsozialismus bezog, außer einiger harmloser Feldpostbriefen und einigen Fotos kaum Persönliches von Hitler geben, so fand der junge Professor einen überraschend aufschlussreichen Fundus seriöser Dokumente, die nun eines belegen: alles Lüge!

"Hitlers erster Krieg" ist das spannende Werk überschrieben und der Untertitel nennt es beim Namen: "Der Gefreite Hitler im Weltkrieg - Mythos und Wahrheit". Dieser Krieg begann für den Freiwilligen im bayerischen Reserve-Infanterie-Regiment 16, nach seinem früh gefallenen ersten Kommandeur "List-Regiment" genannt, am 29. Oktober 1914 in Belgien.

Doch der ersten Schlacht heil entkommen, deckt Weber auf, dass Hitler in den vier Jahren seines Dienstes an der Westfront lediglich elf Tage im echten Fronteinsatz war und seinen als so lebensgefährlich dargestellten Dienst als Meldegänger in der Etappe zwischen den Stabstellen versah. Während tausende seiner Kameraden das Elend der Schützengräben und Sturmangriffe nicht überlebten, drohte hinter den Linien größere Gefahr nur durch Artilleriebeschuss.

Wie aber war das mit der verschworenen Kameradschaft, dem brutalen Kampfeswillen, dem Blühen rechtsradikaler Gesinnung und dem Hass auf die wenigen jüdischen Offiziere? Nichts davon ist belegt, dabei hat der Autor eine Fülle bisher von der Forschung unbeachteter Akten des List-Regimentes aber auch aussagekräftiger Berichte von Feldgeistlichen, Zeitungsartikeln und Gerichtsakten durchforstet.

Wie drastisch die Kriegserlebnisse gefärbt oder auch gänzlich erfunden wurden, belegen zwei platte Lügengeschichten. Da ist jene Heldentat, als der nur mit einer Pistole bewaffnete Hitler eine Gruppe von zwölf französichen Soldaten gefangennahm. Dieser kühne Streich war tatsächlich keine Propagandalüge, aber - der Held war in Wirklichkeit Hugo Gutmann, ein jüdischer Offizier des Regiments. Und ausgerechnet dieser Jude sorgte später dafür, dass der als "unauffälliger und unterwürfiger Soldat" beschriebene Hitler das selten an Mannschaftsgrade vergebene EK I erhielt.

Noch entlarvender aber hätte sich die krasse Umfärbung von Hitlers zweiter Verwundung von 1918 bei einer Entlarvung auf seinen politischen Aufstieg auswirken können: die Erblindung nach einem englischen Giftgasangriff. Der angebliche Verwundete wurde im Reservelazarett von Pasewalk jedoch in der psychiatrischen Abteilung behandelt und seine zeitweilige Erblindung war die psychosomatische Folge einer Psychopathie mit hysterischen Symptomen, kurz "Kriegshysterie" genannt. Kein Wunder, dass die Nazis alles daran setzten, diese Krankenakte schnellstens verschwinden zu lassen.

Was bleibt: der in seiner österreischischen Heimat wegen seiner schwächlichen Körperverfassung als militärdienstuntauglich abgelehnte Hitler war nie ein Kriegsheld, nur elf Tage Frontsoldat und weder die politischen noch die rassistischen Radikalisierungen in der Truppe haben je stattgefunden wie auch der Nationalsozialismus mit Sicherheit nicht in diesen Jahren entstanden ist. Um so eifriger bemühten sich Hitler und die NSDAP schon in den 30er Jahren, die abträglichen Fakten zu beseitigen.

Dabei wurde unter anderem auch jener Hugo Gutmann zeitweise inhaftiert. Zugleich listet Historiker Weber auf, wie wenige der Regimentskameraden sich später vor Hitlers Karren spannen ließen und Gutmann wurde sogar zur Flucht mit einem gefälschten Pass verholfen. Ohnehin werden auch viele Schicksale anderer Soldaten des RIR 16 ausführlich geschildert und das ergibt ein beklemmendes Bild des Stellungskrieges. Auch hier gibt es manch Überraschendes zu lernen, so dass Disziplinverstöße bis hin zu vorübergehenden Desertionen bei Franzosen und Briten weit strenger verfolgt und geahndet wurden als auf deutscher Seite.

Fazit: ein Buch, das zur Biographie Hitlers wie auch der Geschichte des Dritten Reiches eine gewichtige Lücke auf hervorragende Weise füllt. Wobei schon frühere Biografen sich an einer selbst von den Nazis nicht zu vertuschenden Tatsache hätten stoßen müssen - wieso blieb ein angeblich so heldenhafter Soldat in vier Jahren Fronteinsatz nur ein kleiner Gefreiter?!

 

# Thomas Weber: Hitlers erster Krieg. Der Gefreite Hitler im Weltkrieg - Mythos und Wahrheit (aus dem Englischen von Stephan Gebauer); 585 Seiten, div. Abb.; Propyläen Verlag, Berlin; € 24,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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