JULIAN SCHÜTT: "MAX FRISCH"

"Noch in den liebevollsten Erinnerungen seiner Freunde hat er plötzlich ein Messer in der Hand. Sie berichten, im Leben wie in der Literatur sei Max Frisch ein Meister des scharfen Schnitts gewesen." Eine Einleitung zu "Max Frisch. Biographie eines Aufstiegs", die dem weltberühmten schweizerischen Autor gerecht wird. Pünktlich zum 100. Geburtstag Frischs am 15. Mai hat Julian Schütt sie vorgelegt.

Doch der Schweizer Germanist hat nicht den 'ganzen' Max Frisch (1911-1991) ins Visier genommen, vielmehr beschränkt er sich auf die Jahre bis zum großen Durchbruch 1954 mit dem Welterfolg "Stiller". Schütt begründet dies mit der Quellenlage, die für die späteren Jahre unter anderem für große Teile des so wichtigen Schriftwechsels zwischen Frisch und Ingeborg Bachmann Sperren unterliegt.

Um so charmanter ist gerade die sehr präzise und zugleich sachlich-wertungsfreie Schilderung der bisher weniger gut ausgeleuchteten Frühzeit des Schriftstellers. Dies um so mehr, als Schütt dafür erstmals zugängliche Quellen auswerten konnte, darunter bislang unbekannte Briefe, Notate und Dokumente. Es eröffnen sich die frühen Ansätze des Schreibens in dem Drang, sein Ich ins Öffentliche zu bringen. Beherrscht werden insbesondere die frühen Jahre von den kleinbürgerlichen Verhältnisse der Familie, wo die enge Beziehung zur Mutter im scharfen Konrast zur Ablehnung gegen den Vater steht. Als der 1932 plötzlich stirbt, empfindet der Junior dies als eine Art Befreiung.

Auch sein schriftstellerisches Schaffen insbesondere fürs Feuilleton nimmt rapide zu und aus viel Innenbeschau entsteht mit "Jürg Reinhard" sein erster Roman. Doch trotz wohlwollender Resonanz ballen sich die Selbstzweifel schließlich derart, dass Frisch 1937 sämtliche Manuskripte verbrennt und beschließt, Architekt zu werden - wie der Vater es war, wenngleich mit völlig anderen Stilvorstellungen.

Während der lebenslange Frauenfreund in seinem Drang, zur bürgerlichen Elite aufzusteigen, 1942 mit Gertrud Constanze von Meyenburg durch eine "Ehe ohne Leidenschaft" ins Züricher Großbürgertum einheiratet, bleibt er politisch trotz der rundherum aufziehenden Kriegsgefahren noch auffallend abstinent und macht auch brav beim Schweizer Aktivdienst der Armee mit.

Um so radikaler wurde später seine Kritik und seine Verachtung für das Bürgertum, wobei er seine eigene übermäßige Anpassung aus den jungen Jahren nicht ausnahm. Den Weg dahin zeichnet Schütt in dieser stark werkbetonten Biographie lebendig und anschaulich nach. Mit dem Welterfolg "Stiller" endet das Werk zwar, die Grundanlagen aber vom Leiden an der Durchschnittlichkeit über die Bindungsängste bis hin zu den Geschlechterkämpfen scheinen bereits in der frühen "bürgerlichen" Phase auf.

Schütt ist ein minutiöser Biograph und er formt ein stringentes Porträt des schwierigen, vom Schreiben, vom Sich-Äußern besessenen Weltautors, der gleichwohl immer ein Endecker und weniger ein Erfinder war. Da war die Beschänktung auf die so umfassend zu untermauernde Lebenshälfte bis zum Durchbruch eine Voraussetzung für die hohe Qualität der Darstellung. Bleibt nur zu wünschen, dass auch die späteren Quellen bald zugänglich werden und erneut Julian Schütt derjenige ist, der Max Frisch, Teil 2, dann auf ihrer Grundlage umsetzt.

 

# Julian Schütt: Max Frisch. Biographie eines Aufstiegs; 592 Seiten, div. s/w-Abb.; Suhrkamp Verlag, Berlin; € 24,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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