WOLFGANG NIEDECKEN: "FÜR 'NE MOMENT"

Nun ist der berühmteste Junge vom Chlodwigplatz im Kölner Severins-Viertel 60 Jahre alt geworden und das war Grund genug für Wolfgang Niedecken, der ersten Autobiographie aus der Zeit noch "mittendrin" einen echten Rückblick folgen zu lassen. "Für 'ne Moment" heißt das Werk und Deutschlands berühmtester Mundartrocker hat seinen Freund, den Literaturwissenschaftler und BAP-Experten Oliver Kobold, als Co-Autor hinzugenommen.

Aus gutem Grund, denn Niecken ist so durch und durch mit dem Kölschen verwachsen, dass er sich mit so viel Rückschau auf Hochdeutsch wohl schwergetan hätte. Wer diese Mundart versteht, wird sich allerdings freuen, dass wenigstens zahlreiche Zitate O-Ton geblieben sind. Ohnehin ist Niedeckens Karriere wohl eine der ungewöhnlichsten der Kunstszene überhaupt, denn als Maler mit Kunststudium wollte er den Lebensunterhalt verdienen.

Stattdessen stolperte er gewissermaßen über die amateurmäßig betriebene Rockband, aus der schließlich BAP wurde, in die deutschsprachigen Hitparaden und etliche der 16 BAP-Studioschallpaltten erreichten Spitzenplätze. Durchweg in Kölscher Mundart wohlgemerkt und trotzdem füllte er mit seinen Jungs riesige Auditorien, in denen Hymnen wie "Verdamp lang her" bundesweit im Originaltext mitgesungen wurden.

Hier nun liest man, wie der Junge aufwuchs als Sohn eines schon älteren Lebensmittelhändlers, der die künstlerischen Ambitionen seines Filius nie verstand. Dennoch wurde die Band mit dem Begriff BAP ausgerechnet nach ihm benannt. Die wahre Förderin aber war Niedeckens Mutter, die offenbar die Gene vom Großvater, einem Kirchenmaler, an ihn weitergab, aber auch ganz praktisch den Kauf der ersten Gitarre ermöglichte - die Quittung hält Niedecken noch heute in Ehren und sie ist auch unter den zahlreichen Abbildungen aufgeführt.

Wie die aufkommende Beatmusik mit dem Erweckungserlebnis "From me to you" (Beatles 1963) die miefigen Adenauer-Zeiten verscheuchten, spielt dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die Jahre auf einem erzkatholischen Internat. Dass zu den dort erlebten äußerst unchristlichen Erfahrungen auch Missbrauch gehörte, wird hier erstmals in aller Deutlichkeit ausgeführt, wenngleich Niedecken noch relativ glimpflich davongekommen ist.

Um so spannender dann die bewegten Jahre, als BAP mit unvergesslichen Songs die deutsche Musikszene mitbeherrschte. Die Zeit der Anti-Atomkraftbewegung, der Massendemonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss und die Riesen-Tourneen bis hin zu Konzerten in China. Wie der stets bescheiden auftretende Niedecken später selbst Bundespräsident Köhler auf der Gitarre vorspielt, Nobelpreisträger und manch namhfate Künstlerkollegen trifft oder mit seinem Freund Bruce Springsteen Musik macht. Und der bekennende Dylan-Fan zählt längts zu den Großen der kritischen Songschreiber, nicht zuletzt mit kongenial übertragenene Songs seines Idols.

Fazit: diese gänzlich unprätentiös geschriebenen Memoiren sind ein ganz wichtiges Zeitdokument der deutschen Kulturgeschichte der letzten Jahrzehnte geworden sind, von einem, der noch heute mittendrin ist.

 

# Wolfgang Niedecken mit Oliver Kobold: Für 'ne Moment, Autobiographie; 528 Seiten, div. Abb.; Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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