SALMAN RUSHDIE: "LUKA UND DAS LEBENSFEUER"

Vor gut 20 Jahren schrieb Salman Rushdie "Harun und das Meer der Geschichten" für seinen elfjährigen Sohn Zafar, ein großartiges Märchen für Kinder und Erwachsene. Nun hat der britisch-indische Erfolgsautor für seinen jüngsten, jetzt zwölfjährigen Sohn eine mindestens ebenso hinreißende Fortsetzung verfasst.

"Luka und das Lebensfeuer" heißt der Titel und diesmal geht es nicht nur um das Verstummen des Vaters, dem berühmten Geschichtenerzähler Raschid Khalifa (unschwer als alter ego Rushdies zu erkennen!). Luka selbst hat das Unglück heraufbeschworen, als er aus Tierliebe den bösen Captain Aag, Direktor eines großen Zirkus, wegen dessen grausamen Umgangs mit den Tieren verflucht.

Tatsächlich bricht noch in derselben Nacht ein Feuer im Zirkus aus und die Tiere wagen den Aufstand. Zwei von ihnen flüchten sich zu Luka und werden seine besten Freunde: Hund der Bär, ein begnadeter Tänzer, und Bär der Hund, der wunderschön singen kann. Lukas großer Bruder Harun aber hatte ihn gewarnt: "Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst." Und schon schwört Aag Rache und Lukas Vater fällt in einen Dauerschlaf, der immer tiefer wird. Bald darauf erscheint Nobodaddy, ein fast durchsichtiger Doppelgänger Raschid Khalifas.

Er ist der Tod, der den Vater gewissermaßen langsam aufsaugen will und je mehr er dessen Gestalt annimmt, desto weniger wird der Geschichtenerzähler. Er verrät Luka, dass er aus der Welt der Magie gekommen ist und nur eines könne den Vater noch retten - wenn der Junge das große Lebensfeuer holt und ihm das als Medizin verabreicht. Damit beginnt für Luka ein packender Countdown im Paralleluniversum all der Geschichten, die sein Vater einst erfunden hat.

Tief taucht er ein in die Welt der Fantasie und alten Märchen und Legenden. Doch Luka ist ein Junge unserer Zeit und es überrascht auf faszinierende Weise, wie ähnlich die magische Welt der virtuellen ist, die er aus seinen geliebten Computerspielen kennt. So eilt er durch die verschiedenen Level, wobei er ein Rätsel und eine Aufgabe nach der anderen bewältigen muss und dabei einer Unzahl von bekannten Mythenfiguren aber auch hinreißend skurrilen neuen Fantasiegestalten unter manch kauzigen Namen begegnet.

Das Alles spielt sich in einem ungeheuer reich gefüllten Kosmos ab, der viel Spannung, Dramatik und Komik bietet, aber auch manche philosophische Tiefe. Wenn Luka dann schließlich den höchsten Level dieses Spieles um das Leben seines Vaters erreicht, steht er im Reich der ungezogenen Götter, Erfindungen der Menschen, die so tun, "als wären sie immer noch göttlich."

Das führt dann zum wunderbar schrägen Finale im Haus des Märchenerzählers und beschließt eine Geschichte, die ebenso doppeldeutig wie fantastisch und noch so vieles mehr als das ist. Salman Rushdie hat damit ein derart reiches und weises Märchen geschaffen, das ein einmaliges Lesen kaum reicht, um seine ganze Fülle und Schönheit zu erfassen. Ein ganz großes Lob gebührt im Übrigen der gelungenen Übertragung von Rushdies orientalisch blumiger und zugleich mitreißender Sprache ins Deutsche. Fazit: eine grandiose Mischung aus moderner und altmodischer Literatur, die Leser von 11 bis 88 fesseln dürfte.

 

# Salman Rushdie: Luka und das Lebensfeuer (aus dem Englischen von Bernhard Robben); 268 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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