BERTRAND M. PATENAUDE: "TROTZKI"

Als der sowjetische Revolutionsführer Lenin 1924 starb, galt vielen Leo Dawidowitsch Trotzki (1879-1940) als dessen natürlicher Nachfolger. Die Geschichte von Trotzkis Triumphen, seinem Scheitern und seinem gewaltsamen Tod im Exil ist zwar in zahlreichen Büchern thematisiert worden, dennoch hat Bertrand M. Patenaude in seiner Biographie über die schillernde Persönlichkeit Neues zu bieten, zumal er u. a. bisher unzugängliche FBI-Akten auswerten konnte.

"Trotzki. Der verratene Revolutionär" ist das Buch überschrieben und der Historiker der US-amerikanischen Stanford University untersucht das rastlose Leben des aus der Ukraine gebürtigen Juden vor allem aus der Perspektive jener letzten dreieinhalb Jahre im mexikanischen Exil, wo er bekanntlich von Ramon Mercader im Auftrag Stalins mit einem Eispickel ermordet wurde.

Einerseits wird detailliert geschildert, wie Trotzki quasi wie eine Gefangener mit Ehefrau Natalja Sedowa im abgesicherten Haus lebt und arbeitet, während andererseits im Rückblick sein Werdegang vom jungen Revoluzzer bis zur Verbannung ins Exil ein plastisches Bild geformt wird. Anfangs ein Gegner Lenins, wird er während der Oktoberrevolution nicht nur dessen rechte Hand, seinen Fähigkeiten als Organisator und Motivator haben die Bolschewisten zu verdanken, dass sie im folgenden Bürgerkrieg nicht untergehen. Rastlos baut er die Rote Armee auf und sorgt maßgeblich für den militärischen Sieg der Revolution.

Zugleich legte er schon hier den Grundstein für das Zerwürfnis mit seinem ebenso bauernschlauen wie skupellosen Weggefährten Stalin, als er zur Rettung der Macht Zehntausende ehemaliger zaristischer Offiziere in die bis dato ungeordnete Rote Armee integrierte. Und es wird konsequent aufgezigt, wie Trotzki bei Lenins Tod einen nicht wiedergutzumachenden taktischen Fehler begeht, als er wegen seiner angegriffenen Gesundheit die Kur im fernen Suchumi fortsetzt, statt am 27. Januar 1924 zur Begräbnisfeier nach Moskau zu eilen.

Das endgültige Aus kommt am 25. Oktober 1926, einem historischen Datum für die KPdSU, als Stalin und Trotzki erbittert über das politische Testament Lenins streiten und Trotzki den Generalsekretär als "Totengräber der Revolution" schmäht. Trotzki ist einer der brillantesten Köpfe des Kommunismus gewesen, doch er war auch ein Spalter, der sich schnell Feinde machte. Vor allem aber fehlte dem genialen Redner und mitreißenden Motivator jene ruppige politische Pragmatismus eines Stalin, um ein solch widerstreitendes Gebilde wie die soeben entstandene Sowjetunion und die dafür erforderliche Staatsführung zusammenzuschweißen.

Der Biograph schildert jedoch auch den Exil-Revolutionär in seinem vergeblichen Kampf mit Worten und Schriften gegen das Stalin-Regime wie auch die - begründete - Paranoia vor den Schergen seines Todfeindes. Einerseits gefangen in seiner intellektuellen Hybris von der permanenten Revolution und seiner Ideologie der absoluten Wahrheiten, erlebt man den Menschen Trotzki in einer kurzen gefährlichen Affäre mit der Malerin Frida Kahlo, ausgerechnet der Ehefrau seines Gastgebers Diego Rivera, dem großen Maler.

Mindestens ebenso spannend lesen sich aber auch die Ausführungen über die erstaunlich umfangreichen sozialistischen Gruppierungen in den USA, die teils Stalin, teils Trotzki verehren. Bei der starken Betonung der Infamien Stalins wird zuweilen nicht deutlich genug, dass Trotzki für die Opferrolle angesichts seiner eigenen extrem harten Gangart als Revolutionär, Militärchef sowie auch in seiner ideologischen Kompromisslosigkeit bei der Verfolgung der Revolutionsiele wenig taugt.

Patenaudes glänzend geschriebene Biographie ist nicht der tiefschürfende wissenschaftliche Typus, um so fesselnder werden die Geschehnisse auf der Grundlage konkreter Fakten dargestellt. Es gelingt aus dem Blickwinkel der unruhigen mexikanischen Exiljahre ein sehr persönliches Porträt einer der kontroversesten Gestalten des 20. Jahrhunderts, das weniger in die ideologischen Feinheiten als vielmehr in die realen Ereignisse einsteigt. Fazit: ein faszinierendes Lesevergnügen und so romanhaft spannend, dass man sich zuweilen erinnerin muss, dass es sich hier um die fundierte Biographie einer historischen Persönlichkeit handelt.

 

# Bertrand M. Patenaude: Trotzki. Der verratene Revolutionär (aus dem Amerikanischen von Stephan Gebauer); 431 Seiten, div. Abb.; Propyläen Verlag, Berlin; 24,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: Bio 269 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de