JUSTUS PFAUE: "EIN PARADIES FÜR ALLE"

Er lebt schon in merkwürdigen Familienverhältnissen, der Kaufhauskönig Georg Wertheim. Zusammen mit seiner Geliebten Hanna Berger, die mit ihm zusammen den Kaufhauskonzern Wertheim in Berlin leitet, führt er ein glückliches Privatleben. Gleichzeitig ist er verheiratet. Ehefrau Ursula lebt auf Gut Saßleben außerhalb Berlins und „haute auf dem Land mächtig auf den Putz und verkörperte für die Berliner und brandenburgische Gesellschaft den Glanz des Hauses Wertheim." Zurselben Zeit zieht sich das Netz der aufkommenden Nationalsozialisten über dem Haus Wertheim und den getauften Juden Georg Wertheim zusammen.

Justus Pfaues Roman „Ein Paradies für alle" beginnt mit dem letzten Kapitel und dem Ende der beeindruckenden Erfolgsgeschichte des Hauses Wertheim. Bleiben die merkwürdigen Familienverhältnisse am Beginn des Romans noch eher schemenhaft und unerklärt, entwickelt der Autor mit der Lebensgeschichte der Familie Wertheim eine spannende Zeitreise, ein Familiendrama und nicht zuletzt eine anrührende Liebesgeschichte zwischen Georg Wertheim und Hanna Berger, in der auch die Beziehung zwischen diesen beiden auf höchst überraschende Weise erklärt wird.

Im Mittelpunkt steht jedoch zunächst der rasante Aufstieg des Georg Wertheim. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen in Stralsund, wo seine Eltern Abraham und Ida Wertheim ein kleines Geschäft für Kurz- und Posamentierwaren betrieben, gelang es Wertheim und seinem Bruder Hugo gleich nach ihrer kaufmännischen Lehre in Berlin mit neuen Ideen das Geschäft ihrer Eltern auf die Erfolgsspur zu bringen.

Über ein größeres Geschäft in Stralsund, eine Filiale in Rostock und schließlich erste Geschäfte in Berlin entwickelte Georg Wertheim für Deutschland das Konzept des Kaufhauses im modernen Sinn. Feste Preise, enge Kalkulation, Einkauf in großen Stückzahlen, alle Waren unter einem Dach und Schlussverkäufe erwiesen sich als so erfolgreich, dass das Kaufhaus Wertheim mit der Fertigstellung des Warenhauses am Leipziger Platz im Jahr 1896 sicherlich auf Augenhöhe mit Harrods in London oder dem Lafayette in Paris zu nennen war. Oberste Leitlinie in den Wertheim Geschäften war immer, dass der Kunde König sei.

Mit dem Erfolg stellten sich auch Anfeindungen und antisemitische Ausschreitungen ein, die sich in der Zeit der Weimarer Republik mehr und mehr steigerten. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde die Familie Wertheim gezwungen, ihr Handelshaus zu „arisieren", das hieß Enteignung. Eine angemessene Entschädigung dafür haben die Nachkommen Georg Wertheims bis heute nicht bekommen.

Neben der zeitgeschichtlichen Darstellung nimmt die außergewöhnliche Liebesgeschichte zwischen Georg Wertheim und Hanna Berger einen großen Raum in diesem Roman ein, auch wenn der Leser Hanna Berger erst wieder in der Mitte des Romans begegnet. Diese Liebe hat einen so ungewöhnlichen Hintergrund, dass es sich durchaus lohnt, den Roman auch als Liebesgeschichte zu lesen. Jedenfalls wird diese erheblich jüngere Frau nicht nur privat, sondern auch im Geschäft, zum „alter ego" des sonst sehr zurückgezogenen Georg Wertheim.

Eine lesenswerte Geschichte eines außergewöhnlichen Menschen und einer jüdischen Familie vor dem Hintergrund des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des aufkommenden Dritten Reichs. Es ist allerdings keine wirkliche Biografie, vielmehr hat der Autor sich bewusst die Freiheit genommen, manches zuzuspitzen und es nur angelehnt an die reale Geschichte dieser Kaufmannsfamilie darzustellen. So gelesen kann der Roman Interesse an der Zeit wecken und ein Bewusstsein dafür schaffen, wie durch die sogenannte Arisierung in Deutschland auch riesige Vermögenswerte den neuen Herren zugeschanzt wurden.

Eine Verfilmung des spannenden Stoffes als Mehrteiler durch das ZDF ist übrigens bereits in Planung.

 

 

# Justus Pfaue: Ein Paradies für alle. Roman über die Kaufhauskette Wertheim; 440 Seiten; Marion von Schröder Verlag, Berlin; € 19,95

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