CHRIS LAVERS: „DAS EINHORN"

Große wilde Esel mit weißem Körper und rotem Kopf, mächtige Ziegen, Nashörner, Stiere oder das romantisch schöne weiße Pferd mit dem einen langen Horn – es gibt viele Darstellungen des Einhorns. Zugleich gibt es vielerlei Versionen der Wahrheit hinter dem mythologischen Fabelwesen.

Wer dieses Thema literarisch angeht, kann leicht in seichtes Gewässer geraten. Um so erstaunlicher ist der jüngste Versuch einer Klärung, den der englische Bio-Geograph Chris Lavers unternahm. Mit wissenschaftlicher Seriosität, viel Spürsinn und exzellenter Kombinationsgabe hat der Professor der Universität Nottingham die weltweiten Geschichten untersucht und fasst die teils überraschenden Ergebnisse in dem sehr lebendig geschriebenen Sachbuch „Das Einhorn. Natur, Mythos, Geschichte" zusammen.

Den Ursprung schriftlicher Überlieferung hat danach der am persischen Königshof dienende griechische arzt Ktesias gelegt, der rund 400 Jahre vor Christi Geburt Einhörner als pferdegroße unbezähmbare Esel mit dem bewussten einen langen Stirnhorn beschrieb. Schon diese allgemein übernommene Darstellung der Platzierung des Horns spricht dann gegen die Einstufung des Einhorns als indisches Nashorn. Doch Lavers nimmt sich auch die vielen anderen Überlieferungen vor, wobei das Kapitel über das jüdisch-christliche Einhorn von besonderem Interesse ist.

Einerseits findet sich das Einhorn gleich an mehreren Stellen in der Bibel wieder, andererseits fehlt eine griffige Darstellung. Lavers überzeugt jedoch mit einer wohl entscheidenden Beweisführung: wie in anderen wichtigen Passagen hat es gewichtige Übersetzungsfehler vom Hebräischen ins Griechische gegeben, als die Bibel erstmals in eine andere Sprache übertragen wurde – man denke nur an die „junge Frau Maria", die mit weitreichenden Folgen zur Jungfrau hochstilisiert wurde. Beim Einhorn schließt der Wissenschaftler auf die Verfälschung vom Stier zum Einhorn, wobei er wegen der Schilderung als riesig, quasi unbesiegbar aber auch nicht mehr existent den ausgestorbenen Auerochsen als Ausgangswesen für wahrscheinlich hält.

Aber auch die weiteren Ausführungen zum Beispiel zum Einhorn in der Wissenschaft oder den vielen Versuchen, ein solches aufzustöbern, lesen sich lebendig und stets mit gebührender Skepsis durchsetzt. Fazit: ein von Mythen, Märchenerzählerei und fragwürdigen Forschungen belastetes Thema wird hier ebenso ernsthaft wie unterhaltsam auf die Füße gestellt.

 

# Chris Lavers: Das Einhorn. Natur, Mythos, Geschichte (aus dem Englischen von Josef Billen); 205 Seiten; Lambert Schneider Verlag, Darmstadt; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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