TOM SEGEV: „SIMON WIESENTHAL"

Nur wenige Tage, nachdem er im Mai 1945 aus dem KZ Mauthausen befreit worden war, begann Simon Wiesenthal (1908-2005) mit dem, was ihm für den Rest seines Lebens zur Obsession werden sollte: NS-Verbrecher vor Gericht zu bringen und deren Opfer unvergesslich zu machen. Als Nazi-Jäger wie auch als moralische Instanz wurde der im damals k&k Ostgalizien geborene Jude der wohl berühmteste Österreicher – wenn auch mit israelischem Pass, obwohl er nie nach Israel reiste.

Es gibt zwei Autobiographien und vier weitere Biographien von und über den gelernten Architekten, dennoch ist das neue Werk des renommierten israelischen Historikers und Journalisten Tom Segev unter dem Titel „Simon Wiesenthal. Die Biogarphie" etwas Besonderes. Segev hatte den erstmaligen Zugriff auf Wiesenthals offizielles und persönliches Archiv mit rund 300.000 Dokumenten sowie Zugang zu weiteren Quellen in verschiedenen Archiven anderer Länder.

Zu den brisanten neuen Erkenntnissen gehört da die Gewissheit, dass der beharrliche Einzelgänger zehn Jahre lang im Sold des israelischen Geheimdienstes Mossad stand, der 1960 auch Wiesenthals Wiener Büro finanzierte. Dort frönte er einer intensiven Datensammelwut und sein fotografisches Gedächtnis trug ebenso dazu bei, dass der Mann, der fünf KZs überlebte, zum gefürchteten Nazi-Jäger wurde, der weit über 1000 Nazi-Verbrecher an die Justiz überführte – wo gerade in den Anfangsjahren die verhängten Strafen oft enttäuschend milde waren.

Weltberühmt machte ihn schließlich der Fang Adolf Eichmanns, des Architekten der „Endlösung der Judenfrage", wenngleich der ebenfalls jüdische Generalstaatsanwalt Hessens Fritz Bauer auch eine zentrale Rolle dabei spielte, dass der Mossad Eichmann aus seinem argentinischen Exil entführt und in Israel vor Gericht gestellt werden konnte. Mit der Konsequenz des Todesurteils. Hier aber erfährt man außerdem, dass Wiesenthal und einige jüdische Kräfte bereits 1948 an Eichmann dran waren und der der Verhaftung damals nur knapp entkam.

So wie dieser Verbrecher vor Gericht kam, war es auch sonst Wiesenthals Anliegen, die Täter der Rechtsprechung zu überantworten, übrigens auch jüdische Kollaborateure. Zu seinen größten sonstigen 'Jagderfolgen' gehörten der KZ-Kommandant Fanz Stangl, der berüchtigte Gestapo-Chef von Lyon Klaus Barbie sowie Franz Murer, der berüchtiget „Schlächter von Wilna". Trotz dieser jahrzehntelangen Verbrecherjagd lehnte der überzeugte Zionist jede Kollektivschuld für die Deutschen ab. Es waren Juden unter seinen erbittertsten Feinden, während er sich andererseits mit Hitlers Baumeister Albert Speer später sogar anfreundete und ausgerechnet mit dem österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky – selbst jüdischer Herkunft – eines der hässlichsten scharmützel seines Lebens hatte.

Biograph Segev geht in seinen durchgehend sehr lebendig geschriebenen und zuweilen gar krimihaft spannenden Ausführungen auch auf das komplexe Wesen des als schwierig bekannten Wiesenthal ein, so wie er auch mit Eli Wiesel ein eher negatives Verhältnis hatte. Dass er schließlich nicht ebenfalls wie dieser den Friedens-Nobelpreis erhielt, führt Segev auf Wiesenthals Haltung zum UN-Generalsekretär Kurt Waldheim zurück, weil er den umstrittenen früheren Wehrmachtsoffizier gegen Angriffe aus dem Jüdischen Weltkongress verteidigte.

Einen „tragischen Helden" nennt Segev Wiesenthal, der unzweifelhaft zu den ganz großen und wichtigen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts zählte. Mindestens so verdienstvoll wie die Erfolge als Nazi-Jäger stellt er dessen Kampf für die Erinnerung an die Opfer und gegen die Leugner des Holocaust des Holocaust dar. Und er bestand gegen viele Anfeindungen aus dem jüdischen Lager auf der Feststellung, dass der Massenmord der Nazis eine menschliche und nicht nur eine jüdische Tragödie gewesen sei.

Zu den hohen Qualitäten dieser Biographie, die auch Wiesenthals Privatleben beleuchtet, trägt im Übrigen die sachlich-kritische Darstellungsweise ganz wesentlich bei. Fazit: ein exzellentes Buch zu einer ganz wichtigen Persönlichkeit der jüngeren Weltgeschichte.

 

# Tom Segev: Simon Wiesenthal. Die Biographie (aus dem Hebräischen von Markus Lemke); 574 Seiten, div. Abb.; Siedler Verlag, München;

€ 29,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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