JANNE TELLER: „NICHTS. WAS IM LEBEN WICHTIG IST"

Schon bei der Veröffentlichung in Dänemark vor zehn Jahren gab es Kontroversen um Janne Tellers Jugendroman „Nichts. Was im Leben wichtig ist" und es hat bis jetzt gedauert, bis ein deutscher Verlag das längst zum Welterfolg gewordene Buch auch hier herausgebracht hat.

Es geht um nicht weniger als ein mönströs eskalierendes Experiment um die Bedeutung und den Sinn des Lebens. Dabei fängt alles eher harmlos an, als die 7. Klasse im Provinzstädtchen Taering am ersten Schultag nach den Ferien zusammenkommt. Unvermittelt verkündet Mitschüler Pierre Anthon seine jüngste Erkenntnis: „Nichts bedeutet etwas, deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun." Damit verlässt er die Schule und thront künftig auf dem Ast eines Pflaumenbaums im elterlichen Vorgarten, direkt am Schulweg sämtlicher Klassenkameraden.

Seine Pflaumenwürfe provozieren diese kaum, um so mehr jedoch seine zynischen Sprüche von der Bedeutungslosigkeit. Und die Siebtklässler lassen sich aufstacheln und wollen dem Nihilisten das Gegenteil beweisen. Nun berichtet Ich-Erzählerin Agnes vom Beschluss, in einem alten Sägewerk einen „Berg der Bedeutung" aufzutürmen. Dazu soll jeder etwas abgeben, das ihm etwas bedeutet. Zunächst geht es dabei harmlos zu und es kommen Dinge zusammen wie ein Teleskop oder alte Boxerhandschuhe. Täglich getriezt von Pierre Anthons Sprüchen, steigern sie in ihrer heimlichen Angst, er könnte Recht haben, jedoch bald die Anforderungen an die Opfer.

Wer etwas gegeben hat, kann die nächste Forderung stellen und es dauert nicht lange, da werden zunehmend schmerzlichere Opfer verlangt und die Rachegedanken nehmen zu, wenn zum Beispiel Rieke ihre blauen Zöpfe als Markenzeichen abgeschnitten bekommt und Gerda daraufhin ihren Hamster opfern muss. Immer heftiger dreht sich die perfide Spirale der Steigerungen, so dass der gläubige Hussein seinen Gebetsteppich und Lis ihre Adoptionsurkunde loswerden.

Die Jugendlichen können einfach nicht mehr aufhören und ihre Sehnsucht nach Bedeutung wird zum Fanatismus, bei dem selbst das Ausbuddeln eines Kindersarges und der Raub eines Kruzifixes aus der Kirche – durch den frommen Kai – längst noch nicht das Ende des zynischen Reigens bedeuten. Immer grausamer werden die Forderungen und schließlich sorgen Gruppendruck und Eigendynamik wie auch die geradezu mephistophelischen Provokationen Pierre Anthons dafür, dass Alles außer Kontrolle läuft: „Das was geschehen sollte, war ein notwendiges Opfer in unserem Kampf für die Bedeutung."

So beugt sich die so unnahbare Sofie der aberwitzigen Forderung, ihre Unschuld zu opfern. Doch die 13-Jährige schlägt gnadenlos zurück und als Jan-Johan, der begeisterte Gitarrenspieler, sich weigert, als nächster in der Reihe seinen Zeigefinger zu opfern, wird er ihm gewaltsam abgeschnitten, um nun endgültig den Berg der Bedeutung zu krönen. In ihrem Wahn haben die Jugendlichen ihre Menschlichkeit und ihre Vernunft auf dem Altar der Sinnsuche geopfert. Mit irrwitzigem Erfolg, als es herauskommt, und sogar dem Millionen-Angebot eines US-Museums für ihr monströses Kunstwerk.

Doch sind sie wirklich erfolgreich mit ihrer gnadenlose Skrupellosigkieit? Schließlich behauptet Pierre Anthon unbeirrt: „Menschsein ist überhaupt nichts Besonderes." Können die jungen Sinnsucher so viel zynische Intoleranz noch ertragen? Mehr soll von dem dramatischen Finale dieser spektakulären Geschichte nicht verraten werden. Ob all dies in Wirklichkeit geschehen könnte? Wahrscheinlich ist es nicht, aber denkbar nach früheren erschreckenden psychologischen Experimenten zur Erforschung von Befehl und Gehorsam.

Fazit: dieses ebenso fesselnde wie beklemmende Buch sollten nicht nur junge Leser ab 14 Jahre unbedingt lesen sondern auch Erwachsene. Mit seinem kalt sachlichen Erzählstil aus jugendlicher Sicht ist das harte Kost, die alles infrage stellt, gleichwohl ein so grandioser Roman, dass er das Zeug zum Klassiker hat.

 

# Janne Teller: Nichts. Was im Leben wichtig ist (aus dem Dänischen von Sigrid Engeler); 140 Seiten, Klappenbroschur; Carl Hanser Verlag, München; € 12,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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