LAURA THOMPSON: „AGATHA CHRISTIE"

Agatha Christie (1890-1976) ist die erfolgreichste Krimi-Autorin aller Zeiten. Zu ihren 71 Krimis kommen fünf Bände mit Kurzgeschichten, zwei Gedichtbände, mit „Die Mausefalle" das weltweit am häufigsten aufgeführte Theaterstück und ganz nebenher schrieb sie unter dem Namen Mary Westmacott fünf 'normale' Romane. Doch - wer war die „Queen of Crime" wirklich?

Dieser Frage hat sich die Journalistin Laura Thompson mit der Biographie „Agatha Christie. Das faszinierende Leben der großen Kriminalschriftstellerin" gewidmet. Ihr kam dabei zugute, dass sie von der Familie Zugang zu den bisher unveröffentlichten Briefen, Papieren und rund 70 der aufbewahrten Notizbücher der 1971 geadelten Autorin erhielt, denn diese gab sich immer öffentlichkeitsscheuer, je erfolgreicher sie wurde. Was ein wenig wohl auch dem Umstand zu verdanken war, dass die einst attraktive Frau mit zunehmendem Alter übergewichtig und unansehnlich wurde.

Der Biografin ist dank der Quellen wie auch etlicher Interviews mit Familienmitgliedern und Zeitzeugen vermutlich auch die Auflösung des größten Rätsels in der Vita der Autorin gelungen, jenem geheimnisumwobenen Untertauchen im Dezember 1926. Ihr innig geliebter Ehemann Archibald Christie hatte ihr nach zwölfjähriger Ehe eröffnet, dass er eine Jüngere habe und die Scheidung wolle. Agatha Christie, die sowieso gerade sehr unter dem kürzlichen Tod der angebeteten Mutter litt, entschloss sich zu einer Verzweiflungstat, die durchaus einem ihrer eigenen Krimis hätte entspringen können: sie täuschte einen Selbstmord vor und tauchte für zehn Tage in einem Hotel im Kurort Harrowgate unter.

Entgegen späteren Behauptungen einer Amnäsie ließ sie es sich gut gehen, während die Presse den „Fall" der bereits leidlich bekannten Krimi-Autorin auf die Titelseiten brachte und die Polizei Gewässer nach ihrer Leiche absuchte. Ihr Ziel jedoch, Archie in Angst und Sorge um sie zu versetzen, um ihn zurückzugewinnen, ging gründlich schief. Er ließ sich trotzdem scheiden und gegen sie gab es erhebliche öffentliche Vorwürfe. Hatte es die Ehe auch nicht gerettet, so trug das Ganze als unbeabsichtigter PR-Gag gleichwohl dazu bei, ihren Meisterkrimi „Alibi" und damit auch ihren eigenen Ruhm erheblich voranzubringen.

Aufgewachsen war Agatha Christie sorglos in guten Verhältnissen. Als Ehemann Archie im Ersten Weltkrieg in der Luftwaffe diente, arbeitete die hochintelligente junge Frau als Schwesternhelferin und Apothekengehilfin in einem Krankenhaus – wobei sie vieles für ihre späteren Romane lernte. Hatte sie 1919 Tochter Rosalind bekommen, die ihr nie viel bedeutete, fand sei ein Jahr später endlich einen Verlag für ihren Debütroman „Das fehlende Glied in der Kette". Kam hier bereits ihr berühmter belgischer Detektiv Hercuel Poirot zum Einsatz, erfand sie später die urbritische Miss Marple hinzu.

Laura Thompson beschreibt den rapiden Aufstieg nach „Alibi" und ihre Reise in den Orient, wo sie den zweiten Ehemann, den Archäologen Max Mallowan, kennenlernte. Mochte er auch 14 Jahre jünger und weniger attraktiv als Archie sein, so war er doch ein intellektuell kongenialer Partner, wie ihn die arbeitswütige Geistesarbeiterin brauchte. Neben der Rätselgeschichte vom Dezember 1926 faszinieren hier nun die vielen Einblicke in die Arbeitsweise der Kriminalistin, die sich für das Morden selbst gar nicht interessierte und oft bis weit in den jeweiligen Roman hinein gar nicht wusste, wer denn wohl der Täter sein werde.

Das eigentliche Erfolgsrezept aber seien die oft verblüffenden oder gar verwegenen Plots gewesen, wo durchaus der Ich-Erzähler, ein Polizist oder gar ein Kind der Täter war. Oder es hatte gar keinen Mord gegeben. Die gradlinige Nüchternheit ihrer Art zu schreiben und ihre Lesbarkeit waren entscheidende Voraussetzungen für ihren weltweiten Erfolg, dabei war der täuschend schlichte Stil allerdings durchaus hart erarbeitet.

Während die Detailgenauigkeit und die gelungenen Charakterzeichnungen wie auch das Aufzeigen vom Einfließen konkreter Lebensumsätnde in manche Romane diese Biographie zu einer fesselnden Lektüre machen, hat sie eine unnötige Schwäche – die Biografin versucht, die massentaugliche Krimi-Autorin zur großen Literatin hochzustilisieren. Dazu taugen die wenigsten ihrer vielen Bücher und insbesondere mangelt es vielen der Fälle an Realismus. Die Millionen von Agatha-Christie-Fans hat das nie gestört, doch manche namhafte Kollegen wie Ruth Rendell oder Raymond Chandler lehnten ihre Krimis deshalb ab. Ansonsten jedoch ist diese Biographie als ein rundum spannenden Porträt einer der erstaunlichsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts gelungen.

 

# Laura Thompson: Agatha Christie. Das faszinierende Leben der großen Kriminalschriftstellerin (aus dem Englischen von Tatjana Kruse); 527 Seiten, div. Abb.; Scherz Verlag, Frankfurt; € 24,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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