TIMOTHY SNYDER: „DER KÖNIG DER UKRAINE"

Mit der Biographie des Erzherzogs Wilhelm von Habsburg führt Timothy Snyderder die Leser in die Spätzeit des österreichisch–ungarischen Habsburgerreichs. Mit „Der König der Ukraine. Die geheimen Leben des Wilhelm von Habsburg" macht der amerikanische Historiker und Spezialist für die Geschichte Osteuropase nicht nur die Lebensbeschreibung eines relativ unbekannten Vertreters einer Nebenlinie des Hauses Habsburg bekannt, er versucht auch eine Analyse der Kräfte und Mächte, die zum Entstehen des heutigen Europa und hier insbesondere im Bereich der Donaumonarchie beigetragen haben.

Wilhelms Leben selbst kann hier nur ein Beispiel sein. Seine historische Bedeutung ist eher gering. Aufgewachsen als Teil der Familie derer von Habsburg - wenn auch einer Nebenlinie - musste er wie sein Vater Erzherzog Karl Stefan – seinen Platz innerhalb der Dynastie finden. Karl Stefan entschied sich, in Polen zu leben und dort darauf hin zu wirken, als polnischer König eingesetzt zu werden und damit Polen an das Reich der Habsburger anzugliedern.

Wilhelm dagegen wählte für sich die Ukraine, die es zu der Zeit als Staat überhaupt noch nicht gab. Aus der romantischen Vorstellung, aus dem Nichts sein eigenes Königreich schaffen zu können, schloss er sich der nationalistischen Bewegung der Ukraine an und brachte sich als kommender Führer des neuen Staates ins Gespräch. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs allerdings wurden die Karten völlig neu gemischt, denn das Habsburgerreich wurde zerschlagen und ausgeweidet.

Die Mitglieder der Familie Habsburg fanden sich nun ohne Herrschaft im europäischen Exil wieder. Wilhelm führte in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts das Leben eines hochadeligen bisexuellen Bonvivants in den Hauptstädten Europas. Dabei zeigte er sich nicht sonderlich geschickt in der Wahl seines Umfeldes. So bewegte er sich Anfang der zwanziger Jahre im Umfeld des ehemaligen deutschen Generals Ludendorff und damit auch in der Nähe der beginnenden Bewegung des Nationalsozialismus. In den dreißiger Jahren war er in Paris in eine Betrugsaffäre verwickelt, die ihn zwang, das französische Exil zu verlassen.

Trotz allem behielt er sein Ziel, in einer unabhängigen Ukraine eine Rolle zu spielen, weiterhin im Auge. Die Aussichten dafür waren allerdings nach 1918 gegen Null gesunken. Mit dem zweiten Weltkrieg keimte für Wilhelm noch einmal Hoffnung auf. Nach diversen Spionageaktivitäten wurde er jedoch vom sowjetischen Geheimdienst entführt, gefangen gesetzt und er starb 1948 in Kiew im Land seiner Hoffnung im Gefängnis.

Lohnt es sich, diese Biographie über einen Mann, der in seinem Leben übers Plänemachen nicht hinaus gekommen ist, zu lesen? Ein klares nein, wenn man nur das Leben des Wilhelm von Habsburg betrachtet. Ein klares ja, wenn man über Wilhelm eine Innenansicht in die Herrscherfamilie Habsburg gewinnen will. Ein klares ja auch, wenn man sich für die Kräfte- und Machtverhältnisse innerhalb der Donaumonarchie und Osteuropas interessiert. Hier ist Snyder Spezialist und arbeitet sehr genau sowohl die Geschichte der österreichisch – ungarischen Monarchie auf, als auch der Entwicklungen Osteuropas im 19. und 20. Jahrhundert.

 

 

# Timothy Snyder: Der König der Ukraine – Die geheimen Leben des Wilhelm von Habsburg (aus dem Amerikanischen von Brigitte Hilzensauer) 414 Seiten, div. Abb.; Zsolnay Verlag,Wien; € 24,90

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