ALEXANDER HÄUSSER/GORDIAN MAUGG: „HUNGERWINTER"

Wir sind ehrrlich erzogen worden. Wegen des Hungers fingen wir an zu lügen und zu klauen. Wir wurden zu einer Bande von Dieben" So drückt es ein Zeitzeuge jener schlimmen Nachkriegsepoche aus, als der Hunger viele Menschenleben kostete und viele Menschen in die Würdelosigkeit zwang.

Erfasst ist diese Zeit nach der Kapitulation Deutschlands und der Aufteilung in Besatzungszonen, über die Hunderttausende schamvoll geschwiegen haben, nun in der Fernsehdokumentation „Hungerwinter. Deutschlands humanitäre Katastrophe 1946/47" von Alexander Häusser und Gordian Maugg. Die Ausstrahlung erfolgte sinnvollerweise am Sonntag gleich nach dem Weihnachtsfest mit seinen typischen Völlereien.

Wer die Dokumentation verpasst hat oder vieles an Fakten und Details ausführlicher erfahren möchte, ist mit dem Begleitbuch der Autoren unter gleichem Titel sehr gut bedient. Hier wird zunächst die Gesamtlage zwischen Kriegsende und Herbst 1946 beschrieben, da Deutschland in Trümmenr liegt, hunderttausende Wohnungen zerstört oder schwer beschädigt sind und die deprimierte Bevölkerung außerdem Millionen von Flüchtlingen kaum unterbringen und ernähren kann. Nahrungsmittel und Heizmaterial sind knapp, als nun bereits im November einzelne Frostnächte einsetzen und der Dezember die erste Kältewelle mit Frost im zweistelligen Minusbereich bringt.

Bis Anfang März 1947 folgen zwei weitere Kältewellen, die noch extremer sind. Per Lebensmittelkarten standen dem Einzelnen durchschnittlich 1000 Kalorien pro Tag zu, Holz wurde allenthalben „besorgt", konnte aber den massiv fehlenden Kohlenbedarf nicht ersetzen. Ohnehin lagen nicht nur Industrie und Bergbau darnieder, auch der Bahnverkehr litt unter den Kriegsschäden so sehr, dass zum Beispiel in der britischen Besatzungszone (Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg) noch ganze 18 Züge einsetzbar waren. Zudem froren auch noch Rhein und Elbe auf lange Strecken zu, so dass auch die Binnenschifffahrt ausfiel.

Exemplarische Zeitzeugen schildern das Elend des Einzelnen mit der Schwächung durch extremen Hunger, dem ständigen Frieren und wie Hunderttausende verhungerten, Erkältungen umgehend tödlich ausarteten, Neugeborene und kleine Kinder wenig Überlebenschancen hatten und der Überlebenskampf viele demoralisierte. Als dann die dritte Frostwelle bis in den März hinein zum Beispiel in Husum 48 Eistage in Folge mit sich brachte, gab sie allen Schwachen und Kranken, die bis dahin durchgehalten hatten, endgültig den Rest.

Festgestellt wird schließlich, dass dieses schlimme Thema aus Scham über das Erlebte und das eigene, als unmoralisch und würdelos empfundene Tun in der Not bis heute weitgehend verschwiegen wurde. Um so verdienstvoller ist die Dokumentation dieser humanitären Katastrophe, die ganz Europa heimsuchte, in Deutschland jedoch aufgrund der besonders widrigen Umstände am schlimmsten wütete.

 

# Alexander Häusser/Gordian Maugg: Hungerwinter. Deutschlands humanitäre Katastrophe 1946/47; 217 Seiten, div. Abb.; Propyläen-Verlag, Berlin; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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