DAVID PRIESTLAND: „WELTGESCHICHTE DES KOMMUNISMUS"

Es mag so manche Schriften über den Kommunismus geben, gleichwohl fügt der Oxford-Dozent David Priestland der reichhaltigen Literatur über die einst so bahnbrechende Ideologie ein Werk hinzu, das mit unerbittlicher Nüchternheit den Weg von der Idee über ihren Triumph bis hin zum weitgehenden Verschwinden nachzeichnet.

Wenn Priestland in seinem epochalen Buch „Weltgeschichte des Kommunismus. Von der Französischen Revolution bis heute" zu solch vielen negativen Ergebnissen kommt, muss betont werden, dass er ausdrücklich kein Antikommunist ist. Als Historiker ohne ideologische Scheuklappen zeigt er jedoch, wie die idealistische Idee allein schon von ihren monströsesten Vertretern wie Stalin, Mao, Pol Pot und anderen historischen Schlächtern von Millionen Menschen missbraucht und desavouiert wurde. Dabei hat keine politische Idee die über 200 Jahre seit der Französischen Revolution so geprägt, wie der Kommunismus. Wie 1789 die Jacobiner dessen erste Wurzeln legten, denen Marx die wissenschaftliche Grundlage gab und die Oktoberevolution von 1917 den weltweiten Siegeszug – auf Zeit – eröffnete, legt Priestland ebenso detailliert wie spannend lesbar dar.

Kommunismus, das hieß Klassenkampf, Überwindung bürgerlich-kapitalistischer Traditionen und Zerstörung hergebrachter Gesellschaftsformen sowie für Millionen glühender Anhänger den Traum von Gerechtigkeit und Gleichheit, ja, sogar vom Paradies auf Erden. Die dieser Ideologie innewohnende Schizophrenie wird überdeutlich, wenn den utopischen Idealen die reale Ausformung im Innern entgegengehalten wird mit Bevormundung und Unterdrückung bis hin zu Arbeitslagern und Säuberungswellen, um die Massen zu ihrem vermeintlichen Glück zu zwingen. Ideologisch verbrämten Massenmorden fielen mindestens 100 Millionen Menschen zum Opfer und in Nordkorea – neben Kuba das letzte noch existierende kommunistische Regime – leidet ein ganzes Volk unter den irrsinnigen Auswüchsen eines pseudokommunistischen selbsternannten Großen Führers.

Wie es sich konkret in den Regimen lebte, die seit 1917 entstanden und fast alle mit dem Mauerfall von 1989 untergingen, schildert Priestland so sachlich wie anschaulich. Er nutzt dazu auch die Kultur in den sozialistischen Ländern als Quellen zum Beispiel in Form wesentlicher Filme, Theaterstücke und dergleichen. Zugleich wird deutlich, wie in den neuen, nun kommunistischen Gesellschaften die alten Strukturen von Herrschaft und Privilegien abgeschafft wurden – nur um sofort durch neue, nun kommunistische ersetzt zu werden. Dieses scheinbare Paradoxon führte jedoch durch weitere Geburtsfehler des Kommunismus langsam aber unweigerlich in die Sackgasse.

Zu den gravierendsten Schwächen nach innen gehörten einerseits der brutale Rpressionsapparat, der Widerstand und Flucht auslöste. Andererseits sorgten unrealistische und höchst unflexible Wirtschaftssysteme geradezu zwangsweise zu eklatantem ökonomischem Versagen. Doch Priestland als Experte für die Geschichte des Kommunismus weist auch nach, wie der von der Sowjetunion ausgehende Siegeszug den Keim des Scheiterns bereits in sich trug. Er war auf Weltrevolution ausgelegt, ohne dass der Sowjetmacht dessen globale Kontrolle je gelungen wäre. Die Stärke der Keimzelle Sowjetunion war ihr monolithischer Charakter. Nach dem Zweiten Weltkrieg aber schuf Stalin ein ganzes Sowjet-Imperium – ohne es jedoch nachhaltig auf Linie halten zu können.

Die Ableger waren zahlreich, doch schon 1948 scherte Jugoslawien aus, Albanien und Rot-China gingen Ende der 50er Jahre auf separaten Kurs und später machte sich sich selbst der Warschauer Pakt-Staat Rumänien unter Ceaucescu weitgehend selbständig. Hinzu kamen Protestbewegungen wie 1953 in der DDR, 1956 in Polen und Ungarn und 1968 in der CSSR, die nur unter Einsatz militärischer Übermacht niedergemacht werden konnten. Zudem bewiesen schon Stalin und Mao, in welchem Maße sie für den nackten Machterhalt Ideale und Alliierte opferten. Und dennoch schaffte es diese Ideologie, deren Realität sich so weit von allen Idealen entfernt hatte, derartig viele Menschen zu begeistern, dass der Kommunismus bei seinem Zusammenbruch für rund ein Drittel der Menschheit das herrschende Regime darstellte.

Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn der eigentliche Totengräber des kommunistischen Ostblocks in Gestalt der Weltmacht UdSSR deren oberster Führer Michail Gorbatschow war – 1985 angetreten, das überalterte System zu reformieren. Das stattdessen implodierte. Übrig geblieben sind also in Reinkultur nur noch Nordkorea und Kuba, denn die als Weltmacht in jeder Beziehung aufstrebende Volksrepublik China wird zwar von einer Aristokratie beherrscht, die sich immer noch „Kommunistische Partei" nennt, die kann als solche aber nicht mehr wirklich ernstgenommen werden.

In seinen umfangreichen Ausführungen geht der Autor natürlich auch auf andere Formen kommunistischer Bestrebungen ein, seien es Freiheitskämpfer im Dschungel oder anderswo, seien es Stadtguerrillos. Und er fügt den vielfältigen Phänomenen des Kommunismus ein aktuelles an: dass sich heute nicht zuletzt dank Globalisierung und Weltwirtschaftskrise wieder Millionen Menschen trotz aller grandioser bis grausamer Fehlversuche für die utopischen Ideen des Kommunismus erwärmen. Fazit: ein meisterhafter Exkurs zu einem noch immer weltbewegenden Thema mit allen Qualitäten eines Standardwerkes.

 

# David Priestland: Weltgeschichte des Kommunismus. Von der Französischen Revolution bis heute (aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt); 784 Seiten, div. Abb.; Siedler Verlag,. München; € 32

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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