RALF ISAU: „MESSIAS"

Gar nicht auszudenken, was passierte, wenn Jesus plötzlich wieder erschiene – die Welt würde aus den Fugen geraten. Doch genau das scheint am Nachmittag dieses Gründonnerstags zu passieren, als in der Duiske Abteikirche im irischen Städtchen Graiguenamanagh (selbst von Einheimischen meist nur Graig genannt) ein verwirrter junger Mann vom Kreuz steigt. Er weist die blutigen Wundmale des Messias auf, er redet nur in Bibelzitaten und das auch nur auf Hebräisch.

„Messias" lautet auch der Titel des neuesten Romans von Ralf Isau, der damit einen ungemein fesselnden Mystik-Thriller vorlegt. Immer wieder hat es Betrügereien um Wundererscheinungen und wiederauferstandene Heilige gegeben, dieser aber stieg mit gleißendem Leuchten vor ernstzunehmenden Zeugen vom Kreuz! Und einer von denen war ausgerechnet der ehemalige und hier nur geduldete Priester Seamus Whelan, eine Gestalt von beeindruckender Erscheinung im biblischen Alter von 103 Jahren und mit einer verwickelten Vergangenheit behaftet.

Im Vatikan zeigt sich Kardinal Avelada von der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungsprozesse nicht zuletzt wegen des rebellischen Whelan alarmiert und er entsendet Monsignore Hester McAteer zur Klärung des Falles. Der bullige Mittfünfziger gilt als der härteste Glaubensanwalt, wenn es um angebliche Wunder geht. Den schnellstmöglichen Einsatz in seiner Geburtsheimat ermöglicht ihm dabei der Medienmogul Brannock, ebenfalls Ire und zugleich ein homosexueller Erzkatholik. Noch bevor McAteer jedoch erstmals mit „Jeshua" sprechen kann, gibt es zwei Tote: „An vier Fundstellen", wie Kriminalinspektor Managhan feststellen muss.

Längst hat Einen das Geschehen in seinen Bann gezogen, wenn sich der extreme Skeptiker McAteer und der faszinierende Seamus Whelan treffen – der Eine sündigte einst und ließ die geliebte Kindesmutter wegen des Priesteramtes allein, der Andere ist nicht nur sein heimlicher Sohn, auch er sündigte einem alten Familienfluch folgend auf sehr ähnliche Weise. Und er kehrt nun ausgerechnet bei dieser Fiona und ihrer/seiner Tochter ein, da Graig wegen des „Wunders" bereits von Schaulustigen überlaufen ist.

Es setzt ein heftiger Widerstreit um die Anerkennung Jeshuas ein und es geschehen sogar neue unerklärliche Dinge. Zugleich geistert ein seltsamer Mönch umher, ein mysteriöser dunkler Hüne, und dieser Francis hat eine Neigung zu „Special Effects". Da erblüht ein Birnbaum zur Unzeit, es kommen Menschen auf geradezu biblische Weise zu Tode und McAteer stößt wiederholt statt auf neue Erkenntnisse auf unerbittlich gehütete Beichtgeheimnisse. Jeshau aber wettert als wiedergeborener Heiland auf die klerikale Verluderung des Christentums und lässt kaum Zweifel an der Mission seiner Erscheinung: dem Jüngsten Gericht.

McAteer, der ewig zweifelnde Bullterrier des Klerus, gerät an seine Grenzen, denn all seine Ahnungen laufen ins Leere und selbst sein Vater scheint zu echten Wundertaten fähig zu sein. Zudem laufen seltsame Koalitionen zusammen, wenn da Bischof Begg von Kildare und Leighlin gegen jede Aufklärung agiert und andererseits Hinweise darauf hindeuten, dass der mutmaßliche Messias in größter Gefahr ist. Mehr sei von dem verzwickten Geschehen nicht veraten, das schließlich in ein infernalisch inszeniertes Finale führt und selbst McAteer zu demütiger Umkehr bewegt.

Trotz vieler klerikaler Verästelungen hat Ralf Isau aus der komplizierten Melange ein hinreißendes Stück Spannungslektüre geformt, das auch nicht an Kirchenkritik spart. Das Personentableau wie die mit Ironie und mancher Prise dunklem Humor gewürzte Dramaturgie machen diesen Roman zusätzlich zu einem echten Lesegenuss. Der im Übrigen geradezu nach einer Verfilmung schreit.

 

 

# Ralf Isau: Messias; 427 Seiten; Piper Verlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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