HANNS-JOSEF ORTHEIL: „DIE ERFINDUNG DES LEBENS"

Hanns-Josef Ortheils jüngstes Buch mag ein Roman sein, doch wer die Vita des Erfolgsautors ein wenig kennt, weiß sehr bald, dass „Die Erfindung des Lebens" in starkem Maße auf seiner eigenen Biografie beruht. Als Ich-Erzähler Johannes Catt beginnt er mit seiner Kindheit in den frühen 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts, die von Stummheit geprägt ist.

Der Junge verbringt die meiste Zeit allein mit der stumm gewordenen Mutter in der Etagenwohnung in Köln, dennoch geborgen in den fest regulierten Tagesabläufen. Im Vater haben die Beiden einen gütigen Partner, sobald der von seiner Arbeit als Ingenieur heimkommt. Erst allmählich aber offenbart sich der schicksalsschwere Hintergrund für Mutters Schweigen und Vaters Ernst: Johannes ist das einzig übrig gebliebene Kind, nachdem vier Söhne in Krieg und Nachkriegszeit umkamen.

Diese für den Jungen so normal erscheinende sichere Welt wird jedoch emnpfindlich erschüttert, als er in die Schule muss. Der stumme Johannes wird natürlich umgehend gehänselt und getreten und als er sich einfach wortlos aus der Klasse absetzt, droht alsbald die Abschiebung zur Sonderschule. Persönlich konnte er mit der Isolation von allen Kindern leben, denn er hatte das Klavierspielen als Welt für sich entdeckt und ging im täglichen stundenlangen Üben und Spielen regelrecht auf. Was ihm aber nur seelisch über die drohende Schulkatastrophe hinweghalf.

Bis der Vater seine Erziehung übernimmt und sich dafür sogar beurlauben lässt. Sie verreisen aufs Land zu den Großeltern und tatsächlich beginnt Johannes nach und nach immer mehr zu sprechen. Schließlich kann der Junge gar zurück nach Köln und das Gymnasium besuchen. Und es ist naheliegend, dass er hernach Musik studiert und eine Karriere als Konzertpianist versucht. In Rom scheint er dann sein Glück zu finden, auch privat. Bis ihn eine chronische Sehnenscheideentzündung scheitern lässt. Johannes hat jedoch Kraft genug mitbekommen, um noch einmal ganz von vorn zu beginnen. Er kehrt nach Deutschland heim und versucht sich an einer Karriere als Schriftsteller.

Dieser so positiv gestimmte Künstlerroman zeichnet nebenher auch ein kluges Bild der Nachkriegszeit. Hanns-Josef Ortheil überzeugt dabei einmal mehr mit seinem ebenso schnörkellosen wie stilistisch faszinierenden Sprachzauber. Fazit: ein Buch, das in einem ruhigen Fluss auf gediegenem Niveau eine fein gestrickte Familiengeschichte erzählt, die dazu noch auf interessante Weise als stark autobiografisch gelten darf.

 

# Hanns-Josef Ortheil: Die Erfindung des Lebens; 591 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München;

€ 22,95

WOLFGANG A. NIEMAN (wan/JULIUS)

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