JAMES FREY: „STRAHLEND SCHÖNER MORGEN"

Genau genommen ist „Strahlend schöner Morgen", der neue Roman von Erfrolgsautor James Frey, nicht ein sondern fünf Romane. Er erzählt vom Säufer Old Man Joe, vom Ausreißerpärchen Dylan und Maddie, von der behüteteten Tochter einer mexikanischen Einwandererfamilie mit ungewöhnlich dicken Oberschenkeln und schließlich von Amberton Parker, dem Filmstar mit den Millionengagen und der Vorzeigefamilie, der heimlich schwul ist.

Keiner dieser Erzählstränge wird miteinander verknüpft sondern jeweils in meist kurzen Abschnitten vorangetrieben. Das entwickelt sich dennoch so spannend, dass man das umfangreiche Werk nicht mehr aus der Hand legen mag. Das wiederum liegt auch an Roman Nummer 5, denn Frey hat hier eigentlich den längst überfälligen großen Roman über Los Angeles geschrieben und diese „Stadt der Engel" ist der wahre Mittelpunkt.

Sie ist der Magnet, der unablässig Menschen anlockt, weil sie sich hier die Erfüllung des „american dream" erhoffen. Sie hat die schillernde Faszination, die manchen Traum zum Albtraum geraten lässt, und sie wird für viele ein menschenverschlingender Moloch, in dem fast nichts unmöglich scheint. Frey, der hier als Drehbuchautor, Regisseur und Filmproduzent gearbeitet hat, gibt L.A. eine Biographie der brockenweise eingestreuten Fakten und vieles ist wahrlich wenig verlockend.

Da agieren die Protagonisten als exemplarische Vertreter auf den so vielfältigen Ebenen und die Kontraste zum Beispiel zwischen dem narzisstischen Gehabe des Filmstars und dem Loser-Pärchen sind schlichtweg atemberaubend und zugleich lebensprall authentisch. Doch auch die vielen eingeworfenen Lebensläufe mancher Nebenfiguren fesseln, denn sie entwerfen auf wenigen seiten Figuren mit echten Gesichtern. Oder sorgen mit lapidarer Existenzbeschreibung für ein Frösteln wie beim skrupellosen Waffennarren Larry, der ganz und gar nichts Ungesetzliches tut, wenn er Waffen bis hin zum Sturmgewehr an jedermann verhökert. Zwei Seiten lang ist die Liste seiner letzten Kunden, von denen viele zu jung sind, um im Laden eine Flasche Whisky kaufen zu dürfen...

Bis zuletzt laufen die Handlungen, die Beschreibungen und die Faktenaufzählungen nebeneinander her und doch erlahmt dieses Kaleidoskop niemals. Vielmehr entsteht durch den getriebenen, harten, rhythmischen Stil des Erzählens das Gefühl, als schaue man parallel mehrere Filme an, die allesamt mit ihren Handlungen wie mit den starken Charakteren in den Bann ziehen.

James Frey schreibt wie berauscht und doch geradezu unterkühlt, seine Sätze sind dynamisch, entlarvend, zynisch realistisch und stehen dabei im raffinierten Wechselspiel zwischen rüde und drastisch bis zu stilvoll, jeweils der Erzählebene angemessen. Der Mythos L.A. vibriert in diesem Buch und zwischen all den meisterhaften Szenen sind echte Juwelen eingestreut: die hinreißend gezeichneten Bilder berühmter Stadtvierte mit ihren Eigenarten. Fazit: wer diesen spektakulären Roman gelesen hat, weiß vielleicht nicht, ob er L.A. wirklich mögen würde, doch er wird sich gewiss sein, ein grandioses Buch gelesen zu haben. Woran die exzellente Übertragung ins Deutsche durch den versierten Henning Ahrens im Übrigen einen erheblichen Anteil hat.

 

# James Frey: Strahlend schöner Morgen (aus dem Amerikanischen von Henning Ahrens); 582 Seiten; Ullstein Verlag, Berlin; € 22,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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