BEN KIERNAN: „ERDE UND BLUT"

Völkermord ist das verabscheudungswürdigste Verbrechen der Menschheit und die UN-Konvention von 1948 definiert ihn wie folgt: „Der Genozid ist eine von mehreren Handlungen, begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören."

Ben Kiernan, Professor für Geschichte und Gründungsdirektor des angesehenen „Genocide Studies"-Programms an der Yale University, hat dazu nun ein großes Standardwerk der Genozidforschung vorgelegt. „Erde und Blut" lautet der Titel und darin geht der Autor auf „Völkermord und Vernichtung von der Antike bis heute" ein, so der Untertitel. Das Schwergewicht legt er dabei auf die Zeit vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart, er lässt jedoch auch keinen Zweifel daran, dass es bereits im Altertum Genozide gegeben hat wie seinerzeit die Ausrottung Karthagos durch die Römer.

Kiernan untersucht die überraschend ähnlichen Grundmuster der ideologischen Obsessionen bei der Auslösung der Völkermorde, die sich nach seiner Erkenntnis im wesentlichen auf vier Motive stützen: Rassismus, Expansionismus, die Verklärung des eigenen Landanbaus sowie eine rückwärtsgewandte Idealisierung der Vergangenheit. Generell gebe es eine politische Vorbereitung mit Argumenten bzw. mit Agitation und sei es wie im Falle der englischen Eroberung Irlands im 16. Jahrhundert, wo den Ureinwohnern ihr Lebensrecht aus einer Art Zweckmäßigkeitsdenken heraus abgesprochen wurde.

Ein Muster, das englische Siedler ähnlich gegenüber den Indianern in den Neuengland-Staaten zugrunde legten und das zugleich an die Lebensraum-im-Osten-Ideen der Nationalsozialisten erinnert, wobei in beiden Fällen eine Herabminderung der ethnischen Gruppen („Wilde" bzw. „slawische Untermenschen") die moralische Rechtfertigung des Vernichtungsvorgangs ungemein erleichterte. So führt der Forscher verbale Unterfütterungen an von den Diffamierungen als „Tuberkelbazillen" bei der Ermordung von 1,5 Millionen Armeniern durch die Türken 1915 bis hin zu den „Kakerlaken", als welche 1994 in Ruanda 800.000 Tutsi von den Hutu abgeschlachtet wurden.

Natürlich wird der Holocaust als extremster Fall von Völkermord ausführlich untersucht, doch schon zuvor erfolgten Genozide nicht nur zynisch und höchst barbarisch, sondern fast ausnahmslos ausgesprochen systematisch in Vorbereitung und Ausführung. Gleich, ob erbarmungsloser Dünkel und gnadenloses Herrenmenschentum zum Beispiel die japanischen Imperialisten in den 30er und 40er Jahren 100.000e vernichten ließen oder die weißen Siedler die Ureinwohner Amerikas im Norden wie im Süden auf absolut unchristliche und menschenverachtende Weise bis zu gezielter Bösartigkeit im Denken und Handelns aus dem Wege schafften, die Legitimationsmuster haben sich von alters her kaum verändert.

Um so verdienstvoller ist diese einzigartige Arbeit über die weltumspannende Geschichte des Völkermordes, um an dessen Wurzeln anzusetzen. Schließlich sind Kambodscha, Irak und Ruanda jüngste Vergangenheit und Darfur sogar traurige Gegenwart. Dieses Standardwerk zum Thema ist ein höchst beklemmendes Buch, exzellent recherchiert und ebenso präzise wie packend geschrieben. Man kann und sollte sich ihm nicht entziehen, doch wer es gelesen hat, wird es nicht wieder vergessen und weder aktuellen noch künftigen Untaten dieser Art mit Desinteresse begegnen.

 

# Ben Kiernan: Erde und Blut. Völkermord und Vernichtung von der Antike bis heute (aus dem Amerikanischen von Udo Rennert); 911 Seiten, div. Abb.; Deutsche Verlagsanstalt, München; € 49,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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