INA WEISSE: „DIE TÖCHTER DER WEBER"

Millionen von Deutschen mussten am Ende des Zweiten Weltkriegs für die Verbrechen der Nationalsozialisten büßen, indem sie aus ihrer zumeist angestammten Heimat im Osten des Deutschen Reiches vertrieben wurden und als wenig willkommene Habenichtse in Rest-Deutschland unterkommen mussten. Doch es traf nicht jeden gleich heftig, wie Ina Weisses fesselndes Familienepos „Die Töchter der Weber" belegt.

Die Journalistin beschreibt darin das authentische Schicksal ihrer Vorfahren, die über 100 Jahre Bürger der Stadt Lodz waren und in dieser Zeit einen großartigen Aufstieg, eine blühende Stellung in der Gesellschaft und schließlich den totalen Verlust von Vermögen, Heimat und Identität erlebten. Es war der Urgroßvater der Autorin, der als Deutscher 1844 in der aufstrebenden Webereistadt Lodz den Grundstein für die Webstuhl- und Maschinenfabrik der Gebrüder Lange legte.

Lodz wurde mit seiner Tuchindustrie zum „Manchester des Ostens" in Kongresspolen, das seit 1815 zum russischen Reich gehörte. Die Familie wurde reich, lebte in einem prächtigen Stadtpalais und man war sogar mit dem Zaren gut bekannt. Die Fabrikantendynastie brachte interessante bis exzentrische Persönlichkeiten hervor und man lebte ein glanzvolles Leben. Den ersten dramatischen Einbruch erlitten die Fabrikanten, als die deutsche Armee im Dezember 1914 Lodz besetzte und bei den folgenden Demontagen zahlreicher Fabriken keine Rücksicht darauf nahmen, wenn die Eigentümer Deutsche waren wie die Langes.

Gleichwohl gelang im 1918 wiederhergestellten Polen der Wiederaufstieg, bis 1939 der Zweite Weltkrieg diesen brachial unterbrach und Lodz in den späteren Warthegau eingegliedert wurde. Als die Stadt 1945 befreit wurde, begann die Vertreibung der Deutschen und es wurde kein Unterschied gemacht, ob es von den Nazis angesiedelte oder seit 100 Jahren hier auch zugunsten der einheimischen Wirtschaft erfolgreiche Deutsche waren.

Diese für die Angehörigen tragischen Ereignisse schildert Ina Weisse einfühlsam und sie vermeidet Schuldzuweisungen an diejenigen, die die großenteils unschuldigen Betroffenen ihrer Heimat und ihrer Wurzeln beraubten. So lebensnah und emotional sie diese bewegte Geschichte auch beschreibt, an keiner Stelle leugnet sie die deutsche Schuld, die hinter den schlimmen Ereignissen steht beziehungsweise diese erst ausgelöst hat. Fazit: Ein verdienstvolles Buch, gerade, weil es mit seiner sachlichen Ausgewogenheit um Verständnis für beide Seiten wirbt.

 

# Ina Weisse: Die Töchter der Weber; 333 Seiten, div. Abb.; Goldmann Verlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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