KAREN MAITLAND: „DER FLUCH DER GAUKLER"

Da sage noch einer, das Genre der Historienromane habe nichts Großes mehr zu bieten, wenn es Romane wie „Der Fluch der Gaukler" von Karen Maitland gibt. Sie führt damit auf eine atemberaubende Weise auf eine Wanderschaft durch das Jahr 1348, dem schlimmsten Regenjahr, das England je erlebte.

Doch viel Schlimmeres noch sollte die Menschen heimsuchen, denn wenn diese Geschichte beginnt, schreibt man den Mittsommertag und von nun an wird nichts mehr sein, wie es war, denn die Pest hat das Land über den Hafen von Melcombe in Dorset erreicht und beginnt ihren unaufhaltsamen bestialischen Siegeszug. Davon erzählt Camelot, ein herumziehender Händler zweifelhafter Reliquien. Gleich zu Beginn begegnet der lebenserfahrene Alte, der ein Auge bei angeblichen Kämpfen im Heiligen Land verloren hat, dem geisterhaften Mädchen Narigorm. Die etwa Zwölfjährige hat fahlblaue Augen und gleicht ansonsten einem mageren Albino, besitzt jedoch die Gabe, die Zukunft aus den Runen zu lesen.

Camelot weiß, dass gegen die Pest nur die Flucht hilft, und so zieht er ins Landesinnere gen Norden. Das rätselhafte Mädchen begleitet ihn und bald stoßen weitere Personen zu ihnen, allesamt auch sie Randfiguren der Gesellschaft, die nur der Gedanke treibt, der Pest zu entkommen. Da sind Adela und der Maler Osmond, ein blutjunges Paar, das ein Kind erwartet. Und der Musikant Rodrigo mit seinem schönen, unter der so streng verbotenen Homosexualität leidenden Schüler Jofre schließt sich ihnen ebenso an wie der skrupellose Zauberkünstler Zophiel, der hartherzig und zugleich in Furcht vor etwas ist und stets misstrauisch eine stinkende ausgestopfte Meerjungfrau in einer Kiste hütet. Viel erfreulicher erscheinen dagegen die Heilerin und Hebamme Pleasance und der Geschichtenerzähler Cygnus, der einen normalen Arm und einen als Schwanenflügel missgebildeten hat.

Sie alle schweißt der eine Gedanke zusammen, der der Flucht, auf der es in diesen barbarischen Zeiten voller Gesetzlosigkeit und Aberglauben aber nicht ratsam ist, allein zu reisen. Wie sich sehr bald herausstellt, hat jedoch jeder in der Reisegruppe sein teils sehr dunkles Geheimnis und keiner von ihnen ist wirklich der, der er vorgegeben hat zu sein. Und es gärt auf gefährliche Weise in dieser nach außen hin eingeschworenen Notgemeinschaft. Narigorm aber, die sich ganz und gar nicht wie ein junges Mädchen verhält und auf zwingende Weise Tod und Schrecken und auf fatale Weise nicht nur die richtige Reiseroute voraussagt, ist am rätselhaftesten.

Tatsächlich greift der Tod auch in der Gauklertruppe um sich, obwohl sie der Pest immer wieder entkommen. Doch während Narigorm sie alle mit ihren Runen manipuliert, scheint es noch weitere mysteriöse Verfolger zu gebem. Zu all dem muss man sich die furchterregende allgegenwärtige Atmosphäre von Angst vor dem so unerklärlichen Grauen der Pest vorstellen, gegen die es kein Mittel gibt und ja auch auch religiöser Eifer, absurdester Aberglauben, Magie und Opferrituiale wie die der brutalen „Krüppelhochzeit" nichts vermögen. Hinzu kommen Elend, Hunger und der unablässige Regen.

Wenn sich die Gauklertruppe nach und nach dezimiert und immer mehr Geheimnisse ans Licht gezerrt werden, nähert sich diese ausgesprochen bunt und realistisch erzählte Geschichte mit manchen Überraschen einem Finale, das Thrillerqualitäten hat. Mehr sei hier nicht verraten, denn es bleibt bis zuletzt hochspannend. Zugleich besticht das Alles mit intensiv recherchiertem Zeit- und Lokalkolorit, aber auch mit souveräner Sprachgewalt. So sehr das authentisch geschilderte Geschehen auch schaudern lässt, es fasziniert dank der exzellenten Fabulierkunst Karen Maitlands. Fazit: ein Historienroman von hinreißender Meisterschaft.

 

# Karen Maitland: Der Fluch der Gaukler (aus dem Englischen von Karin König); 525 Seiten; Scherz Verlag, Frankfurt; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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