ZVI YANAI: „IN LIEBE, DEIN SANDRO"

Erst als Sandro Toth gegen Kriegsende von der italienischen Pflegemutter an Soldaten der jüdischen Brigaden übergeben wird, erfährt er, dass er Halbjude durch seine 1944 verstorbene Mutter Giulia Galambos ist. Nun kommt er nach Israel in einen Kibbuz, nennt sich in Zvi Yanai um und holt Hebräisch-Kenntnisse und die fehlenden Beschneidung nach – bis dahin ein vermutlich lebensrettender Umstand. Und er macht eine beachtliche Karriere bis zum Generaldirektor des israelischen Wissenschaftsministeriums.

Doch der 1935 geborene Yanai hat nicht nur zwei ältere Schwestern, denn durch eine Fülle von Briefen der Eltern und der Großmutter sowie durch alte Fotos hat er herausgefunden, dass es einen Bruder gab, zwei Jahre vor ihm geboren. Aus rätselhaften Gründen ist dieser Romolo in Italien zu einer Pflegemutter gegeben worden und über seinen späteren Verbleib finden sich keinerlei Angaben. Um so mehr elektrisiert den mittlerweile 69-Jährigen Yanai bei einem wissenschaftlichen Briefwechsel Name und Alter eines Ansprechpartners an der Universität Rom. Könnte dieser Professor Romolo Benvenuti der verschollene Bruder sein?!

Unter dem Titel „In Liebe, dein Sandro" machte Yanai daraus einen autobiografischen Roman und der Untertitel „Briefe an meinen verschollenen Bruder" verweist auf eine einzigartige bewegende Lebensgeschichte. Als Briefschreiber Sandro erzählt er dem vermeintlichen Bruder die Vita der Familie, die höchst unkonventionell war und von den Zeitläuften unausweichlich geprägt wurde. Die 18-jährige Tänzerin Juzi/Giulia Galambos aus Graz verliebt sich 1930 in den doppelt so alten ungarischen Bariton Kalman Toth. Bald wird die erste Tochter geboren, dann gehen die Beiden ständig wechselnde künstlerische Engagements ein.

Dass das Paar entgegen Kalmans Angaben nie verheiratet war, wurde spätestens 1938 problematisch, als die unbürgerliche Familie Einschränkungen wegen der nun auch in Italien erlassenen Rassegesetze fürchten muss. Warum der 1933 geborene Romolo zu dieser Zeit aber als einziges der insgesamt vier Kinder bereits seit Jahren weit weg in einer iatalienischen Pflegefamilie lebt, bleibt in all den vielen überlieferten Briefen undurchsichtig und der endgültige Verbleib ist gänzlich ungeklärt. 1941 zerbricht die unstet geblieben Verbindung der Eltern, als der Vater sich absetzt, offenbar in seine Heimat, zumal er ein Verehrer des Faschismus ist.

Die eher unstete aber bildschöne Mutter bringt Sandro und die Schwestern von jetzt an alleine durch. Die makabre Ironie der Geschichte will es, dass die blonde, blauäugige aber jüdische Tänzerin mit den mangelhaften Papieren nach der deutschen Besetzung Italiens ab Herbst 1943 ausgerechnet als Dolmetscherin für die Wehrmacht ein gutes Auskommen findet. Zu dieser Zeit ist sie allerdings bereits schwer herzkrank und als sie 1944 stirbt, bereiten Wehrmachtskräfte ihr eine ordentliche christliche Beerdigung.

Doch auch die Zeit bis zur Übersiedlung nach Israel, die die Kinder bei der treuen Gouvernante Ida verbringen, findet ihre Würdigung wie auch der schwierige Übergang in ein Leben als Israeli. Dass der kleine Sandro einst die Uniform der Jugendbewegung Mussolinis trug, dass er durch den Vater protestantisch war und im Krieg zum Katholiken konvertiert und im Endeffekt zum jüdischen Atheisten wurde – all das berichtet Sandro dem nie persönlich gekannten Bruder in seinen langen Briefen. Dabei entsteht eine fesselnde wahre Geschichte, die durch die Umstände ihre Lücken hat wie auch manche Widersprüche.

Nicht viele Menschen wissen dank überlieferter Briefe und Fotos so viel über ihre Familie. Yanai überzeugt und bewegt dabei auch dank seiner zurückhaltenden Erzählweise, die ohne Selbstmitleid auskommt und auch ihre ironischen Seiten hat. Zudem beeindruckt das Zeit- und Lokalkolorit, das auf Erinnern und konkreten Zeugnissen beruht. Fazit: eine Geschichte, die tief unter die Haut geht, gerade weil sie auf Tatsachen beruht.

 

# Zvi Yanai: In Liebe, dein Sandro. Briefe an meinen verschollenen Bruder (aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler und Eldad Stobezki); 365 Seiten, div. Abb.; Krüger Verlagt, Frankfurt; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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