JOEY GOEBEL: „HEARTLAND"

Joey Goebels neuer Roman „Heartland" beginnt an sich eher verhalten, denn Blue Gene Mapother ist zwar ein skurriler und mäßig attraktiver Bursche von 27 Jahren, der in einer Kleinstadt in einem Wohnwagen wohnt und Spielsachen aus seinen Kindertagen auf dem Flohmarkt verkauft. Doch die Mapother-Familie ist die reichste im ganzen Bundesstaat hier im Herzland der USA, allerdings hat sie Blue Gene vor Jahren quasi ausgestoßen wegen seiner sehr unpassenden Freundin.

Und braucht nun ausgerechnet diesen Aussteiger aus einem sehr sensiblen Grund: sein Bruder John soll die Wahl fürs Repräsentantenhaus gewinnen. Was sich damit eröffnet, ist eine teils witzige, teils spannende, immer aber hintergründig entlarvende Mischung aus Seifenoper und griechischer Tragödie. Tatsächlich lässt sich Blue Gene für seinen 13 Jahre älteren Bruder einspannen, weil der wie er selbst die wahren amerikanischen Werte vertritt. Schließlich hat sich der anspruchslose Blue Gene in den letzten Jahren nur typisch amerikanischen Vergnügungen gewidmet, die echtes Mannestum vertreten wie Monstertruck- und Wrestling-Shows. Nützlich für John aber ist vor allem Blue Genes Eigenschaft, sehr gut mit einfachen Leuten umgehen zu können.

Wenn Goebel in dem aufkommenden Wahlkampf die USA genüsslich karikiert, so braucht er nicht einmal einen gewissen George W. Bush zu erwähnen, denn Bruder John Hurstbourne Mapother ist quasi ein Ebenbild, bis hin zu früheren Suchtproblemen und der Erweckung als „wiedergeborener Christ". Aber die Seifenoper braucht ihre Katharsis und die kommt gleich doppelt und knüppeldick. Da verliebt sich Blue Gene dummerweise in Frontfrau Jackie von der Punkband „Uncle Sam's Finger" und die dreht ihn trotz mangelnder sexueller Erhörung derartig um, dass er sich dem autoritären Familienoberhaupt Henry Mapother widersetzt und mit der Punkerin sogar die konkurrierende „Partei der Habenichtse" gründet.

Als wahrhaft griechisch-tragödienhaft jedoch erweist sich dann das dunkle Familiengeheimnis, auf das Blue Gene zufällig stößt: Bruder John ist in Wirklichkeit sein Erzeuger, denn er schwängerte als 13-Jähriger eine Zwölfjährige, die dann bei der Geburt starb. Mutter Elisabeth wiederum ist damit Blue Genes Großmutter. Und natürlich ist mitten im Wahlkampf, wo Inszenierung und absolut weiße Weste in jeder Beziehung die entscheidende Rolle spielen, Diskretion überlebensnotwendig. Das wird schräg, das wird absurd und bleibt zugleich mit all der Bigotterie und dem hehren Sendungsbewusstsein hinreißend autentisch.

Wenn trotz dieser faszinierend erfundenen Konstellationen das Alles zu einem sämigen Eintopf vermeintlicher Harmonie zusammenläuft und sogar eine Art Happy End gelingt, dann wird man Zeuge dieses für Nicht-Amerikaner nur schwer verständlichen typischen US-Pragmatismus. Und wenn dann am Ende die ganze Mischpoke irgendwie wiedervereint ist, muss das sein – so ticken die Amis nun mal. Oder doch nur in Seifenopern? Diese Seifenoper jedenfalls ist das Meisterwerk eines präzisen Beobachters, der es dabei nie an der nötigen Würze durch plastische Figuren und allerlei Situatonskomik zum herzhaften Genuss mangeln lässt.

 

# Joey Goebel: Heartland (aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog); 714 Seiten; Diogenes Verlag, Zürich; 22,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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