MICHAEL J. NEUFELD: „WERNHER VON BRAUN"

Noch nie sind die zwei Leben des genialen Raumfahrtpioniers Wernher von Braun (1912-1977) so umfassend und auf der Grundlage akribischer Auswertung aller verfügbaren Quellen biografisch dargestellt worden wie in Michael J. Neufelds Buch „Wernher von Braun" mit dem wegweisenden Untertitel „Visionär des Weltraums/Ingenieur des Krieges".

Der kanadische Biograf war als Leiter der Abteilung für Raumfahrtgeschichte im National Air and Space Museum der Smithsonian Institution in Washington prädestiniert für die schwierige Aufgaben, den schillernden Weg des deutschen Barons vom Erfinder der V 2-Rakete im Range eines SS-Offiziers über den Star von Disney-Fernsehprogrammen mit Raumfahrtträumereien bis hin zum Triumph der US-Mondlandung vom Juli 1969 ohne Verdammung und ohne ungebührliche Heldenverehrung zu schildern.

Er wollte immer nur Raketen bauen und zum Mond und zu den Sternen fliegen – auf diese einfache Formel könnte man es bringen. Sein Weckruf war das Buch „Die Rakete zu den Planetenräumen" des Raketenpioniers Hermann Oberth, das den faulen Schüler zum Schulprimus in Mathematik und Physik werden ließ. Und noch als 20-jähriger Student lässt er sich vom Heeresamt anheuern zur Entwicklung militärisch nutzbarer Raketen. Kurz darauf kommen die Nazis an die Macht – was den von seiner Idee Besessenen selbst dann noch nicht weiter schert, als er 1937 zum Eintritt in die NSDAP aufgefordert wird.

Er ist brillant, ein Genie im Organisieren des Raketenprogramms und selbst der Zwang, 1940 der SS beizutreten, bringt ihn nicht von seinem Weg ab, denn moralische Bedenken würden die Aufgabe des Traumes bedeuten. Und weder die vielen V 2-Angriffe auf London und Antwerpen noch die unsäglichen Bedingungen, unter denen Zwangsarbeiter in den unterirdischen Werken die Raketen zusammenbauen mussten und zu tausenden dabei umkamen, haben ihn unmittelbar beeindruckt. Erst viel später finden sich Äußerungen des Bedauerns.

Viel zu verlockend war der Pakt von Brauns mit dem Regime, der ihm die Arbeit an seinem Traum ermöglichte – selbst als er wegen unvorsichtiger Äußerungen 1944 trotz aller Verdienste vorübergehend in SS-Haft geriet. Einen faustischen Pakt nennt der Biograf von Brauns Tun und das erfährt durch die Niederlage des Dritten Reichs eine glückliche Wendung, die der nun gerade 33-Jährige mit nonchalantem Opportunismus nutzt: umgehend dient er sich den Amerikanern an. Sie sind die Sieger und sie wissen, welcher Schatz ihnen da mit dem Erbauer der ersten ballistischen Boden-Boden-Rakete samt Teilen seiner Mannschaft in den Schoß fällt.

Noch ein faustischer Pakt? Ja, nur von nun an mit den „Guten". Aber auch jetzt sind es wieder Raketen für die Miltärs statt für den Weltraumflug. Von dem darf der Meisteringenieur vorerst nur im Fernsehen träumen, was ihm allerdings als Prophet des Raumfahrtzeitalters viel Popularität einbringt, während die realen Raketenprogramme unter anderem wegen der Rivalitäten zwischen Air Force und Army nicht vorankommen.

Doch dann sind es gleich zwei empfindliche Niederlagen der USA durch Erfolge der Sowjetunion, die für von Braun das Tor zum Weltall aufstoßen. Er hatte es befürchtet und am 4. Oktober 1957 schockiert das monotone Signal des Sputnik die Weltmacht. Und während Präsident Eisenhower noch zögert und die Amerikaner erst Monate später mit dem Explorer 1 auf von Brauns Jupiter-Rakete nachziehen, sorgt der nächste Sowjet-Triumph endgültig für den entscheidenden Fortschritt: sie schicken mit Juri Gagarin den ersten Menschen ins All.

John F. Kennedy erklärt als frischgebackener Präsident im Mai 1961, die USA würden noch vor Ende des Jahrzehnts auf dem Mond landen, und es ist Wernher von braun, der mit der NASA und dem Apollo-Programm die Mondlandung schafft und zum amerikanischen Helden wird. Daran können dann nicht einmal mehr kritische Äußerungen über den Nazi-Parteigenossen und V-Waffenbauer für Hitler etwas ändern. Bleibt Neufelds Feststellung, dass von Braun bis zuletzt ebenso unpolitisch wie skrupellos mit unbezähmbarem Ehrgeiz versucht hat, seine Visionen zu verwirklichen.

Das Alles ist sehr lebendig geschrieben und liest sich – etwas technisches Verständnis vorausgesetzt – ausgesprochen spannend. Über das Privatleben erfährt man in dieser rundum überzeugenden Biografie relativ wenig, über den Menschen aber so viel, dass der Autor ein konsequentes Resümmee ziehen kann: „Wernher von Braun war wirklich der Faust des 20. Jahrhunderts."

 

 

# Michael J. Neufeld: Wernher von Braun. Visionär des Weltraums/Ingenieur des Krieges (aus dem Englischen von Ilse Strasmann); 687 Seiten, div. Abb.; Siedler Verlag, München; € 49,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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