ANDREAS OPLATKA: „DER ERSTE RISS IN DER MAUER"

Ungarn begann am 2. Mai 1989 mit dem Abbruch seiner Grenzanlagen und dazu sind zwei Fakten festzuhalten: einerseits wurde das quasi zum ersten Dominostein, dessen Fall schließlich zur Beseitigung des Eisernen Vorhangs führte. Zweitens gibt es neben der schon weit fortgeschrittenen Reform des sogenannten „Gulasch-Kommunismus" einen erstaunlich banalen Grund – der schlechte technische Zustand der Anlagen, deren Überholung sehr teuer geworden wäre. Ganz abgesehen von der abzusehenden Ablehnung seitens der Bevölkerung.

Der erste Riss in der Mauer" nennt der Historiker Andreas Oplatka folgerichtig seine Schilderung dieser in ihren Feinheiten nur teilweise bekannten Vorgänge im Umbruchjahr 1989. Der in der Schweiz lebende gebürtige Ungar hat dazu mit 70 beteiligten Akteuren gesprochen bis hin zu Michail Gorbatschow und Hans-Dietrich Genscher. Es sind spannende Einblicke in die politischen Hintergründe, auch in lange verborgen gebliebene Aktivitäten der handelnden Personen.

Der Strom der DDR-Bürger, die über ungarisches Territorium flüchteten, schwoll auf fast 50.000 an, denn sie wurden durchgeschleust. Unvergessen als eines der symbolträchtigsten Bilder bleibt jener Akt beim Städtchen Sopron, wo am 27. Juni der österreichische Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Kollege Gyula Horn mit großen Zangen Drähte des Grenzzauns durchschnitten – derzeit gab es in Wirklichkeit aber nur noch Reste solcher Zäune. Und der Autor stellt unmissverständlich klar, dass Horn nur ein Ausführender war und der wirklich Verantwortliche bis inklusive der Durchschleusung ab dem 12. September Ministerpräsident Miklos Nemeth.

Es sind fesselnde Ausführungen, auch wenn sich Oplatka ganz auf die ungarische Vorgänge beschränkt. Deutlich wird dabei, dass Ungarn zwar einen wichtigen Beitrag zur Maueröffnung am 9. November und dem folgenden Fall des Eisernen Vorhangs beisteuerte, dass es aber nicht ursächlich dafür war, wenngleich es die Entwicklung ganz sicherlich beschleunigte. Auf jeden Fall ist Oplatkas Buch ein erhellender Beitrag gerade anlässlich des 20. Jahrestages der Ereignisse, zumal er kenntnisreich auch auf den sowohl wirtschaftlichen wie ideologischen Niedergang des sozialistischen Systems eingeht.

 

# Andreas Oplatka: Der erste Riss in der Mauer. September 1989 – Ungarn öffnet die Grenze; 303 Seiten; Paul Zsolnay Verlag, Wien; € 21,50

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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