GÜNTER SCHABOWSKI: „WIR HABEN FAST ALLES FALSCH GEMACHT"

...haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergänge der DDR auszureisen". Auf diese Erklärung Günter Schabowskis auf der Pressekonferenz im Ost-Berliner Pressezentrum folgte umgehend das Nachhaken des italienischen Journalisten Ricardo Ehrman, ab wann diese Regelung denn gelten solle. „Ab sofort", stammelte das SED-Politbüromitglied.

Fast beiläufig hatte Schabowski damit an diesem 9. November 1989 die historischen Worte gesprochen, die die Öffnung der Berliner Mauer und damit das Implodieren der DDR einläuteten. Wie diese Sensationsnachricht noch in dieser Nacht um die Welt lief, so strömten die Ost-Bürger durch die Grenzübergänge, von den verdutzten Grenzern nur anfangs noch gebremst. Sie wurden ebenso von der spontanen Reaktion überrascht wie Schabowski und die anderen Spitzenfunktionäre, denn das war so nicht geplant und es gab keine Anweisungen für die Grenzer.

Einen exzellenten Einblick in diese Ereignisse liefert nun gerade dieser unfreiwillige Mauereinreißer Schabowski, der wie kein anderer der Führungsriege eine selbstkritische Bilanz des von ihm mitverantworteten Unrechtsregimes gezogen und sich zur Mitschuld bekannt hat. Im Gespräch mit dem ZEIT-Korrespondenten Frank Sieren schildert er schonungslos offen, was damals ablief, und er zieht mit dem Titel des ebenso aufschlussreichen wie spannenden Buches ein hartes Resümmee: „Wir haben fast alles falsch gemacht".

Der einst überzeugte Kommunist beschreibt einerseits seine erfolgreiche Politkarriere und beschönigt kein bisschen, dass er von dieser Weltanschauung ganz und gar begeistert war. Hart und unsentimental in der Selbstkritik bekennt er auch, wie sehr der Marxismus-Leninismus zur Ersatzreligion wurde. Der eloquente Dialektiker rechnet präzise ab mit all den Irrtümern und Lebenslügen des von ihm mitgelenkten Regimes. Andererseits hält er es noch heute für ein Wunder, dass der Umbruch so friedlich und unblutig vonstatten gehen konnte und Schabowski weiß um die riesengroßen Gefahren, die zuletzt in jener Nacht vom 9. November 1989 lauerten, als eine unbedachte Reaktion eines Grenzers oder ein Wutausbruch von DDR-Bürgern an den Grenzstationen eine gewalttätige Eskalation bedeutet hätte.

Entgegen dem Untertitel „Die letzten Tage der DDR" geht Schabowski aber nicht nur sehr detailliert auf die Vorgänge von 1989/90 ein, sondern auch auf die heutige Situation. Ganz klar stellt er fest, dass die SED nach der Wende verboten gehört hätte, statt dass man ihre Epigonen sogar in die Parlamente einziehen ließ. Auch das macht die Qualität dieses Buches aus, das in faszinierender Offenheit darlegt, wie zwingend das Scheitern der engstirnig-unprofessionellen Führungsriege und des gesamten real-existierenden Sozialismus waren. Günter Schabowski muss es wissen und nur wenige scheinen so glaubwürdig als Zeitzeugen.

 

# Günter Schabowski: Wir haben fast alles falsch gemacht; 281 Seiten; Econ Verlag, Berlin; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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