CHRISTIAN FÜHRER: „UND WIR SIND DABEI GEWESEN"

Die Berliner Mauer fiel durch die noch heute beinah unfassbare Friedliche Revolution. Dass diese jedoch unblutig verlief und das DDR-Regime nicht zur Chinesischen Lösung vom Juni 1989 griff, ist ganz maßgeblich einem Mann zuzuschreiben: Christian Führer, Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche und Wegbereiter jener Montagsdemonstrationen im Herbst 1989. Klar, dass er ein „Operativer Vorgang" bei der Staatssicherheit war, sein Stasi-Deckname „Igel" war jedoch nicht nur auf seinen Haarschnitt sondern offenbar auch auf die Stacheln gemünzt, die er stets zeigte, wo es nötig war.

Verdienstvoll um das Ende des Unrechtssystems wie kaum ein Anderer, legt er nun seine Autobiografie „Und wir sind dabei gewesen" vor, wie zu erwarten wortmächtig aber gänzlich uneitel. Wenn der Untertitel dann lautet „die Revolution, die aus der Kirche kam", kann dem kaum widersprochen werden, denn dort in seiner Kirche legte Pfarrer Führer sieben Jahre zuvor den Grundstein mit den berühmt gewordenen Montagsgebeten, die sich ursprünglich gegen das Wettrüsten beiderseits des Eisernen Vorhangs richteten. Und Führer schuf einen Hort für all jene, die DDR-Alltag den Mund halten mussten, indem er an seiner Kirche ein Schild anbrachte, das sagte „Nikolaikirche – offen für alle".

Zur Einführung schildert der 1943 in Leipzig geborene Pfarrerssohn sein Leben bis zur Ordinierung 1968 und im dritten Teil seine zahlreichen Aktivitätäten nach Mauerfall und Wiedervereinigung. Natürlich ist der mittlere Teil das eigentlich Spannende, zumal sicher manchem die gefährliche Dramatik des Herbstes 1989 nicht in diesen Feinheiten bewusst geworden ist. Von Montag zu Montag steigerte die Staatsmacht im September 1989 ihr wahllos aggressives Dreinschlagen gegen die Teilnehmer der Montagsgebete. Immer massiver marschierten die bewaffneten Einheiten auf und am 40. DDR-Geburtstag am 7. Oktober schlugen sie besonders heftig drein.

Dann jedoch das Wunder vom Montag, dem 9. Oktober, als die friedvolle Menge der Betenden auf 70000 Demonstranten angeschwollen war und diese mit ihrer Parole „Keine Gewalt!" die aufmarschierte Staatsmacht zur Ohnmacht erstarren ließ – dabei waren Blutkonserven und Sonderhaftlager bereits vorbereitet!

Diese Kraft der Gewaltlosigkeit erinnert an Ghandi und Pfarrer Führer empfindet diesen 9. Oktober 1989 noch heute als das entscheidende Wunder der Friedlichen Revolution. Für den leidenschaftlichen Diener des Wortes Gottes aber war er nicht Teil einer Erfolgsgeschichte sondern einer Glaubensgeschichte. Wenn er sich nun in seinen Lebenserinnerungen auf die Ereignisse beschränkt, an denen er so entscheidend beteiligt war, und dabei andere mitentscheidende Aspekte jener Zeitenwende unerwähnt lässt, ist das legitim. Es schmälert seine Verdienste nicht und spannend ist das Alles ohnehin gerade aus der autentischen Innenansicht heraus.

 

# Christian Führer: Und wir sind dabei gewesen. Die Revolution, die aus der Kirche kam; 335 Seiten, div. Abb.; Ullstein Verlag, Berlin; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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