T. C. BOYLE: „DIE FREAUEN"

Erneut stellt Kultautor T. C. Boyle eine berühmte reale Figur in den Mittelpunkt eines Romans und wie zuletzt bei „Dr. Sex", als er das Leben des Sexualforschers Alfred Kinsey in einen überaus farbigen Roman fasste, bedeutet auch für seinen jetzigen Helden alles Weibliche Versuchung und Lebenselixier. Frank Lloyd Wright (1869-1959) allerdings hatte 'nur' privat einen lebensbestimmenden Hang zum schönen Geschlecht.

Schlicht „Die Frauen" hat Boyle die bewegte Geschichte überschrieben, die zwar ein Roman ist,aber in den Fakten der echten Vita des genialen Architekten ohne Dazuerfundenes folgt. Die Anregung zu dem grandiosen Bilderbogen eines wahrhaft bewegten Lebens kam ganz wesentlich durch das Haus, das der Autor bewohnt: Wright baute es vor 100 Jahren und lebte darin zeitweise mit seiner ersten Frau und den sechs Kindern.

Das noch heute gerühmte architektonische Lebenswerk aber spielt in diesem Roman nur eine Nebenrolle, sein chaotisches Privatleben jedoch bietet so viele hinreißende Ereignisse, dass selbst ein so einfallsreicher Autor wie Boyle es gar nicht bunter und dramatischer hätte erfinden können. Das exzentrische Genie mit dem Hang zu Luxus, schönen Autos und ebensolchen Frauen musste mit den prüden, ja bigotten gesellschaftlichen Gegebenheiten der USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwangsläufig kollidieren, als der rücksichtslose Egoist Ehefrau Kitty nach 20 Jahren Ehe sitzenlässt und mit der Gattin eines Kunden durchbrennt.

Diese Mamah war seine Seelenverwandte und große Liebe. Der Skandal belastete Wrights Schaffen jahrelang und es folgte eine noch schlimmere Strafe, als Mamah beim Amoklauf eines entlassenen Hausangestellten mitsamt ihren Kindern erschlagen wurde. Wright selbst überlebte, weil er gerade außerhalb weilte. Und er fand Trost bei Ehefrau Nummer zwei, der exaltierten, morphiumsüchtigen Miriam. Diese Südstaatenschönheit wird gewissermaßen die Strafe seines Lebens, denn sie führt sich auf wie eine Hexe einschließlich rasender Tobsuchtsanfällen.

Aber auch ihr geht es wie allen Frauen, die seinem Charisma erliegen – er verbraucht sie und lässt sie fallen. Allerdings sorgt Miriam für Spektakel, als sich Wright der 30 Jahre jüngeren Tänzerin Ogilvanna zuwendet und sie sogar heiratet. Wie alle Vorgängerinnen lebt auch sie im Traum-Refugium „Taliesin" des Meisters in Wisconsin, muss dort jedoch heftig leiden unter Miriams einfallsreicher Rachsucht, für die sie selbst Polizei und Skandalpresse einspannt.

Das Alles aber wird nicht einfach als fortlaufendes Drama eines Lebens geschildert, vielmehr wartet T. C. Boyle gleich mit zwei großartigen dramaturgischen Kniffen auf, die den Roman zu einem Erlebnis machen. Nicht ein anonym bleibender Autor berichtet aus dem Leben, sondern der japanische Architekt Tadashi Sato, ein erfunder Erzähler, der neun Jahre auf „Taliesin" lebte, die Kunst des Meisters studierte und wie alle dortigen Studenten im Haushalt mithelfen musste. Noch raffinierter nimmt sich dann die Chronologie aus, denn der Reigen beginnt bei Ogilvanna, der letzten Ehefrau, und geht dann zurück zu den Jahren mit Ehefrau Kitty.

Zur grandiosen Erzählkunst Boyles kommen Ironie und Zynismus – bei aller Bewunderung für das Genie entlarvt er dessen menschliche Macken schonungslos – und zur Untermauerung des historischen Hintergrunds geben laufend Fußnoten interessante Auskünfte. Das wirkt zunächst gewöhnungsbedürftig, gibt dem ebenso fesselnden wie anspruchsvollen Werk aber viel zusätzliche Würze. Fazit: ein meisterhafter und absolut filmreifer Gesellschaftsroman der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den USA, gekrönt von faszinierenden Charakterstudien.

 

# T. C. Boyle: Die Frauen (aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum und Dirk van Gunsteren); 560 Seiten; Carl Hanser Verlag, München; € 24,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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