RALF-PETER MÄRTIN: „DIE VARUSSCHLACHT"

2000 Jahre ist es jetzt her, seit das Römische Imperium im Norden Germaniens eine der empfindlichsten Niederlagen seiner Geschichte erlebte. „Quintilius Varus, gib mir meine Legionen zurück!" soll Kaiser Augustus im fernen Rom ausgerufen haben, als er im Herbst des Jahres 9 n.Chr. die Katastrophenmeldung erhielt. Zugleich sorgte die legendäre Varusschlacht für einen über 1800 Jahre verspäteten Mythos für den Sieger Arminius, der im 19. Jahrhundert als Hermann der Cherusker zum urdeutschen Nationalhelden aufstieg.

Der Historiker Ralf-Peter Märtin hat nun Dichtung und Wahrheit auf der Grundlage des neuesten Forschungsstandes untersucht und seine Erkenntnisse als überaus erhellendes Sachbuch zum Schlachten-Jubiläum unter dem Titel „Die Varusschlacht. Rom und die Germanen" herausgebracht, das auch manchem Kenner Überraschungen bieten dürfte. Doch der Autor stellt zunächst einmal in einer großen Übersicht dar, wie die tatsächlichen politischen und sonstigen Gegebenheiten bei den Germanen und der Weltmacht Rom waren.

Die Germanen, die als Volk nur aus Clans und wenig geordneten Gemeinschaften bestanden, wurden von den Römern einerseits als primitive Barbaren mit rohen Sitten betrachtet, die in den rauen unwegsamen Landstrichen zwischen Rhein und Elbe hausten. Als Kolonie war dieses Germanien kein verlockendes Ziel und die Eroberung noch am ehesten zur Befriedung der räuberischen Stämme sinnvoll. Und zur Rekrutierung von Söldnern für Einsätze gegen anderweitige aufrührerische Provinzen. So auch wenige Jahre vor der Varusschlacht die Cherusker mit ihrem Anführer Gaius Julius Arminius.

Dieser Sohn des Cheruskerfürsten Segimer wurde wegen seiner Verdienste von Kaiser Augustus persönlich in den Rang eines römischen Ritters erhoben und kannte als Anführer wichtiger Hilfstruppen das römische Militärwesen bestens. Sein späterer Gegner Varus wiederum wird in den Hermann-Legenden wohl zu unrecht als unfähig oder gar als Trottel verunglimpft, vielmehr galt er als qualifizierter Politiker und Militär von Adel. Arminius aber war nicht der Cherusker-Fürst, der nun in den teutonischen Wäldern die Germanenstämme zum Freiheitskampf aufrief, sondern er war Begleiter und Berater des Germanien-Statthalters Varus, als dieser im Jahr 8 einen Inspektionszug in das unruhige Gebiet unternahm.

Der römisch-germanische Offizier Arminius jedoch wurde jetzt zum Verräter an seinem Herrn und lockte mit seinen Hilfstruppen die Varus-Legionen taktisch raffiniert in einen Hinterhalt. Überraschung, Guerrilla-Taktik sowie Regen und Sturm in den Wäldern und entlang eines Moores machten die sonstige Überlegenheit römischer Militärkunst völlig obsolet und nach dem dreitägigen Ringen existierten nur noch verschlagene Reste des römischen Heerzugs samt seines großen Trosses. Varus und seine Stabsoffiziere stürzten sich angesichts der schmachvollen Niederlage in ihre Schwerter.

Der Autor erklärt aber auch die mutmaßlichen Motive des Seitenwechslers Arminisu, die mit Freiheitsdrang und Germanenstolz wenig zu tun hatten. Vielmehr versuchte der ehrgeizige Cherusker, eine eigene Herrschaft aufzubauen und konnte bei den germanischen Brüdern auf die räuberische Gier nach Beute setzen. Am mangelnden Gemeinschaftssinn scheiterte jedoch geradezu zwingend die Entstehung einer Art germanischen Königreichs und Kriegsheld Arminius fiel der Uneinigkeit 12 Jahre später selbst durch Mord zum Opfer.

Historiker Märtin beschreibt des Weiteren die späteren Feldzüge der Römer östlich des Rheins. Diese zeigten einerseits, wie gering die Chancen der Cherusker gegen die römischen Legionen in offener Feldschlacht gewesen wären. Andererseist blieben die Feldzüge halbherzig und mangels nachhaltiger Folgen konnten sie die Schmach der Niederlage bei Kalkriese niemals tilgen. Der viel späteren Hochstilisierung des Siegers zum deutschesten aller Helden entzieht der Auto aber ebenso die Grundlage, denn selbst die Namensgebung „Hermann der Cherusker" beruht auf einer Erfindung – sein tatsächlicher germanischer Name ist bis heute unbekannt!

Der besondere Reiz an Märtins Werk liegt in der glänzend aufbereiteten Einbettung der Varusschlacht in die Gesamtverhältnisse vor und nach dem Ereignis sowie der außerordentlich lebendigen Darstellungsweise, die das Buch auch für interessierte Laien zu einer spannenden Historienbeschreibung mit manch überraschenden neuen Erkenntnissen macht.

 

# Ralf-Peter Märtin: Die Vaursschlacht. Rom und die Germanen; 460 Seiten, div. Abb.; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 22,90 WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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