POPPY ADAMS: „WER DIE RUHE STÖRT"

Dunkle Familiengeheimnisse bleiben oft besser unangetastet, sonst können sie zu solch höchst unerfreulichen Entwicklungen führen wie bei den Schwestern Virginia und Vivien, von klein an Ginny und Vivi genannt. Fast 50 Jahre lebten sie getrennt, die jüngere Vivi in London, Ginny im elterlichen Herrenhaus von Bulburrow Court. Nun kehrt Vivi überraschend heim, um mit ihrer Schwester gemeinsam ins Alter zu gehen.

Das ist der Ausgangspunkt von „Wer die Ruhe stört", dem Debütroman der englischen Fernsehregisseurin Poppy Adams. Von Ginny als Ich-Erzählerin erfährt man zunächst, dass sie Vaters Leidenschaft für Schmetterlinge geerbt und über die Jahre bis zur Obsession gesteigert hat. Geerbt hat die mittlerweile arg verschrobene Eigenbrötlerin auch das Herrenhaus. Einen großen Teil des wertvollen Mobiliars hat sie nach und nach verkauft, um gegen den Verfall des alten düsteren Hauses anzukommen. So bewohnt sie nur noch einige Räume, unberührt blieb lediglich der Dachboden mit all den wertvollen konservierten Insekten.

Nun also bricht die immer noch lebenslustige Vivi in den geradezu manisch geordneten Tagesablauf ein und in Ginny wächst schnell das Misstrauen, warum die Jüngere wirklich heimgekehrt ist. Feine Risse tun sich allmählich auf in dem harmonischen Bild, das die Ich-Erzählerin bisher von ihrem Leben gezeichnet hat, und immer mehr längst verdrängte Erinnerungen kommen hoch. Da war die Trunksucht der Mutter, die zu Gewaltausbrüchen führte und mit einem tödlichen Treppensturz endete. Nach dem der Vater dann mit ersten Anzeichen von Demenz auf eigenen Willen hin in ein Pflegeheim zog.

Doch die so verschiedenen Schwestern erinnern sich auch sehr verschieden und während sie bei manchen Gedanken instinktiv wissen, was die Andere denkt, gibt es andererseits krasse Brüche in ihrer offenbar aus Kindheitserlebnissen belasteten Beziehung. Und zunehmend spürt der Leser, dass man der Erinnerung der Ich-Erzählerin an die einschneidenden Schicksalsschläge und Familientragödien nicht mehr recht trauen mag. Ob es die verzweifelte Ginny schafft, die alte, so mühevoll aufgebaute Ordnung widerherzustellen, sei hier nicht verraten, aber der Autorin gelingt es in der atmosphärisch dichten Art des Erzählens hervorragend, mit allerlei raffinierten Wendungen zu überraschen.

Dieses seltsame Psycho-Duell zweier sehr unterschiedlicher Schwestern, von denen die eine mehr zu vergessen versucht, als die andere zulassen will, baut eine subtile Spannung auf. Fazit: eine dunkel gefärbte Familiengeschichte, die mit ihren schlimmen Geheimnissen für ein anspruchsvolles Lesevergnügen sorgt.

 

# Poppy Adams: Wer die Ruhe stört (aus dem Englischen von Rita Seuß); 364 Seiten; Hoffmann und Campe, Hamburg; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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