DIARMAID MacCULLOCH: „DIE REFORMATION 1490 – 1700"

Die Reformation war weit mehr als 'nur' Martin Luthers Aufbegehren gegen Auswüchse der römisch-katholischen Kirche und die Übersetzung der Bibel ins Deutsche. Welch ungeheuren Umbruch in ganz Europa die Reformation in Ganz setzte, hat Diarmaid MacCulluch, Professor für Kirchengeschichte an der Universität von Oxford, mit dem vielfach preisgekrönten und jetzt auf auf Deutsch erschienenen Monumentalwerk „Die Reformation 1490 – 1700" eindrucksvoll dargelegt.

Der englische Wissenschaftler hat jedoch kein kirchengeschichtliches Werk geschrieben sondern die erste historische Gesamtdarstellung der Reformation als dem entscheidenden Kapitel der Geschichte des modernen Europa. Er belegt ebenso tiefgreifend und gründlich wie unterhaltsam, dass es eine ganze Epoche des teils brachialen Übergangs vom Mittelalter zur Moderne war, aber auch, dass die Reformation in diesem von Ideen und Kriegen geprägten konfessionellen Zeitalter samt Gegenreformation zu einer dauerhaften Spaltung des europäischen Hauses – so auch der Untertitel im englischen Orginal des Buches – führte.

Für deutsche Leser mag es gewöhnungsbedürftig sein, dass Luther zwar als entscheidender Katalysator der Reformation aufgeführt wird, ansonsten aber in einen Kanon weiterer wichtiger Protagonisten gestellt wird. Wenn der englische Aspekt dabei eine starke Rolle spielt, so liegt das jedoch nicht nur an MacCullochs Wirken an einer englischen Universität, denn immerhin war es Heinrich VIII., der mit seiner Lossagung vom Papst in Rom einen entscheidenden großen Schritt des Protestantismus tat.

Der Autor legt im ersten Kapitel „Die gemeinsame Kultur" für die Zeit bis 1570 dar, dass es nach dem ersten Ansatz und einem halben Jahrhundert der Trennung noch Ansätze für eine Wiedervereinigung der christlichen Kirche gab. Die in ganz Europa um sich greifenden kriegerischen Auseinandersetzungen um weltliche und kirchliche Macht machten die Gegensätze schließlich jedoch unumkehrbar, wie MacCulloch unter der Überschrift „Die Teilung Europas 1570 – 1619" ausführt. Dreißigjähriger Krieg und Gegenreformation zementierten die Teilung bis Ende des 17. Jahrhunderts endgültig mit Auswirkungen auf die gesamte Weltpolitik bis zum heutigen Tag.

Nach diesen vorrangig historischen Ausführungen wendet sich der Gelehrte den sozial- und ideengeschichtlichen Aspekten zu, denn auf die strahlten die grundlegenden Ideen der Reformatoren und ihrer Kontrahenten ebenso aus wie die faktischen Ergebnisse der Umbrüche. Die Umwälzungen wirkten sich auch auf politische, ideologische und mentalitätsgeschichtliche Prozesse aus und nach den zwei Jahrhunderten der Reformation war nichts mehr, wie es zuvor gewesen war.

Herausgekommen ist bei MacCullochs sehr anschaulich ausgebreiteten Geschichtsunterrichts auf exquisiten Niveau ein großartiges Panorama einer revolutionären Epoche, das in seiner Gesamtsicht manch neue Aspekte über Zusammenhänge und realpolitische Folgen eröffnet. Fazit: trotz der ein oder anderen eigenwilligen Auslegungen des Experten sowie kleinerer Übersetzungfehler darf dieses gleichwohl faszinierende Buch bedenkenlos als Standardwerk zur Geschichte der Reformation eingeschätzt werden.

 

# Diarmaid McCulloch: Die Reformation 1490 – 1700 (aus dem Englischen von Helke Voß-Becher und Klaus Binder); 1022 Seiten, div. Abb.; Deutsche Verlagsanstalt, München; € 49,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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