DIANE WEI LIANG: „DAS JADEAUGE"

Mei Wang ist eine moderne Pekinger Frau, die in eigenes Auto fährt und einen Sekretär beschäftigt. Das wirklich ungewöhnliche an der 27-Jährigen aber ist ihr Beruf: sie arbeitet als Privatdetektivin! Da dieser Beruf in China allerdings nicht zulässig ist, läuft ihr Büro offiziell als Auskunftei.

Ihren ersten richtigen Fall vermittelt ihr Onkel Chen, ein alter Freund der Familie. Sie soll ein wertvolles Jadesiegel aus den uralten Zeiten der Han-Dynastie wiederbeschaffen, von dem man gedacht hatte, es sei in jener düsteren Zeit der Kulturrevolution zerstört worden. Mit diesem Auftrag beginnt „Das Jadeauge", der erste Kriminalroman von Diane Wei Liang, die nach dem Massaker an den Studenten auf dem Tiananmen-Platz von 1989 das Land verlassen musste und heute als Wirtschaftswissenschaftlerin in London lebt.

Detektivin Mei, die im Streit als Angestellte aus dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit schied, startet überaus professionell mit ihrem jungen Assistenten Gupin, doch auch wenn sie an gefährliche Leute wie die Schwarzhändler im Kiezviertel geraten, so sollte man nicht die gewohnten Cliches von Matuall oder gar Philip Marlowe erwarten. Die Autorin nimmt sich einerseits Zeit, die Rätsel allmählich voranzutreiben, andererseits spielen gesellschaftliche Verwicklungen in den Fall hinein, die unmittelbar auch mit ihrer Familie und ebenso mit den bis heute nicht aufgebarbeiteten Verbrechen der Kulturrevolution zu tun haben.

Faszinierend aber sind vor allem die ebenso authentischen wie entlarvenden Einblicke in die Schizophrenie des modernen Peking mit all seinen Widersprüchen, die das Misstrauen gegen die mächtigen Behörden immer wieder rechtfertigen und wo zugleich kriminelle Durchstechereien offenbar an der Tagesordnung sind. Da bleibt unbegreiflich, was für eine Klassengesellschaft in dem noch immer pompös propagierten Einheitsstaat allenthalben herrscht, wo dann eine langjährige Staatsangestellte und treue Parteigängerin wie Meis Mutter nach einem Schlaganfall bessere Arznei und Behandlung nur bei entsprechender privater Zuzahlung kriegen kann.

Ein interessanter Auftakt zu einer geplanten Serie um „Detektivin" Mei Wang ist das, der Spannendes verheißt und erfreulich anders als die gewohnten Krimis ist.

 

# Diane Wei Liang: Das Jadeauge (aus dem Englischen von Susanne Hornfeck); 272 Seiten; List Verlag, Berlin; 18

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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