M. CHABON: „DIE VEREINIGUNG JIDDISCHER POLIZISTEN"

Man stelle sich einmal vor: im Distrikt Sitka an der Südwestküste des US-Bundesstaates Alaska leben gut drei Millionen Menschen, die durchweg Jiddisch sprechen mit Einsprengseln von Esperanto und Amerikanismen. Hier heißt das Handy „Shoyfer", ähnlich dem Schofar, dem rituellen Widderhorn, und auch sonst gibt es viele jüdische Eigenheiten, denn Sitka (die Stadt gibt es wirklich!) wurde den Juden auf 60 Jahre als Land gegeben, nachdem der 1948 neu gegründete Staat Israel unter den Angriffen der Araber zusammenbrach.

Das ist die Szenerie in Michael Chabons neuem Roman „Die Verienigung jiddischer Polizisten", die in einen überaus schrägen Krimi führt. In diesem halbautonomen Staat, der 1940 tatsächlich einmal im US-Kongress angedacht wurde, konnte Meyer Landsman Karriere als Detective machen. Doch mittlerweile ist er zum chronisch depressiven Slivovits-Säufer heruntergekommen, haust im schäbigen Hotel Zamenhof und harrt wie die meisten Sitka-Juden ratlos der jüngsten Zukunft, denn man schreibt das Jahr 2007 und die „Reversion", die Rückgabe des Gebiets an die USA, steht im kommenden Januar bevor.

Spätestens seit der Trennung von Ehefrau Bina ist er auch noch einsam und die Polizistin wurde jetzt obendrein auch noch seine Vorgesetzte. Da wundert es kaum, dass diese jüdische Ausgabe eines Philip Marlowe nur mäßigen Einsatz zeigt, als ausgerechnet in seinem Hotel ein toter Junkie gefunden wird. Offenbar wurde er regelrecht hingerichtet und einzige Spur scheint zunächst nur eine seltsame Anordnung der Figuren auf einem Schabrett im Zimmer zu sein. Wie überhaupt das Schachspiel immer wieder in die Geschichte einfließt und wenn das zuweilen fast nervtötend wirkt, sollte man wissen, dass der Autor und Pulitzer-Preisträger Schach – hasst!

Aber Landsman hat neben den Attitüden und den schmerzlichen Missgriffen eines Philip Marlowe auch dessen Grips und so deckt er auf, dass das Mordopfer Mendel Shpilman war, einst als Schachgenie galt und solche Gaben besaß, dass viele ihn für den möglichen neuen Messias hielten. Doch Landsman gerät auch an Vater Shpilman, einen mächtigen Rabbiner mit einer mafiösen ultraorthodoxen Gemeinde. Und er stößt in ein Gewirr von Verschwörungstheorien, zionistischer Fanatiker und politischer Machenschaften samt Verfolgungsjagden und wahrlich heiklen Situationen.

Um so mehr stachelt es ihn an, als ausgerechnet Ex-Ehefrau Bina den Fall unter den Tisch kehren will. Da tun sich schließlich gigantische Abgründe auf, die hier aber nicht verraten werden sollen. Ohnehin strotzt dieser Roman vor schrägen Überraschungen und wirkt immer wieder, als habe ein Ephraim Kishon auf einem bitterbösen LSD-Trip seine Finger im Spiel. Der bissige Humor ist schwärzer und trockener als jeder britische und zu den Skurrilitäten gehören die vielen jiddischen Begriffe, für die der selbst im jüdischen Glauben erzogene Michael Chabon extra ein Glossar angefügt ist.

Zugleich gehört zu den Besonderheiten dieses ungewöhnlichen Romans zwischen surrealer Satire und ungenierter Geschmacklosigkeit, dass er wirkt wie aus einer fremden, so gar nicht existierenden Sprache aus einem eigenständigen und detailliert ausgestalteten Kosmos übersetzt. Was aber nicht etwa eine Schwäche ist sondern Absicht und zu seinem speziellen Charme beiträgt. Kein Wunder, dass die Kult-Filmer Joel und Ethan Coen bereits eine Verfilmung des Krimis planen, der sich rundherum als intelligente schelmische Verrücktheit mit erstaunlichem Tiefsinn erweist.

 

# Michael Chabon: Die Vereinigung jiddischer Polizisten (aus dem Amerikanischen von Andrea Fischer); 422 Seiten; Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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