GYÖRGY DRAGOMÁN: „DER WEIßE KÖNIG"

Kaum zwölf ist Dzsátá, als sein Vater wegen seiner Unterschrift unter eine kritische Petition von der Securitate abgeholt und ins Arbeitslager am Donaukanal gebracht wird. Der Junge kann genauso wenig auf Hilfe vom Großvater hoffen wie die schöne Mutter, denn der Alte muss im Rahmen der typischen Sippenhaft im Rumänien Ceaucescus vom Amt des Parteisekretärs zurücktreten.

Dies ist der Einstieg in 18 atemberaubende Erzählungen, die György Dragomán zu dem Roman „Der weiße König" zusammengefügt hat. Der Autor wuchs selbst als Mitglied der ungarischen Minderheit in der rumänischen Tyrannei auf, die die Familie erst 1988 verlassen konnte. Mit fast kindlicher Naivität schildert sein kleiner Ich-Erzähler von den immer düsterer werdenden Wolken über der ohnehin schon von Schikanen, körperlicher Gewalt und Psychoterror durch Lehrer und Mitschüler geprägten Kindheit, bis die Erkenntnis über das mutmaßliche Schicksal des Vaters endgültig jeden Hauch von kindlicher Unbeschwertheit vertreibt.

Da arten Kinderspiele in geradezu mörderische Gemeinheiten aus, Lehrer sind unberechenbare Sadisten und Erpresser und jeder Einzelne ist des anderen Feind in dieser exemplarischen Kleinstadt im Jahre 1986. Hohntriefend wird die Jugend als „größter Schatz des Landes" gepriesen und zugleich auf unfassbare Weise jeden Vertrauens, jeder Gesinnung und jeder Hoffnung auf das Gute im Menschen beraubt. Selbst Lausbubenstreiche enden da blutig und jegliches Kindsein weicht skrupellosem Überlebenskampf.

In beklemmender Intensität erzählt Dzsátá von dieser teuflischen Melange von Verzweiflung und Verrat, von hilfloser Hoffnung, aber auch vom Aufbegehren und Akten fatalistischen Trotzes in einer Gesellschaft, die das kommunistisch-faschistoide System zutiefst krank gemacht und entmenschlicht hat. Fast einer Befreiung kommt da der groteske finale Akt gleich, wenn der Junge nach zwei Jahren auf der Beerdigung des Großvaters für Augenblicke seinen Vater, seinen „weißen König", wiedersieht und für ein absurdes Rebellieren sorgt.

Wenn dieses düstere Szenario dennoch zu einem großartigen Roman mit einem Hauch Hoffnung geworden ist, liegt dies vor allem an der wunderbar anmutigen Sprache – großer Dank gebührt Übersetzer Laszlo Kornitzer – und der atemlosen Lakonie, mit der der Autor wortkarg und dennoch bildmächtig jene ungeheuerlichen Schändlichkeiten beschreibt, die manche Nostalgiker des ach so glorreichen real-existierenden Sozialismus heute gerne zu verharmlosen versuchen.

 

# György Dragomán: Der Weiße König (aus dem Ungarischen von Laszlo Kornitzer); 293 Seiten; Suhrkamp Verlag, Frankfurt; € 19,80

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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