CORMAC McCARTHY: „KEIN LAND FÜR ALTE MÄNNER"

„Kein Land für alte Männer" war bei der jüngsten Oscar-Verleihung mit vier Trophäen der erfolgreichste Film, doch die Romanvorlage von Cormac McCarthy, die jetzt fast verspätet auch auf Deutsch erschienen ist, muss sich wahrlich nicht dahinter verstecken. Dieser hochverdichtete moderne Western, in dem die Helden Pick-ups fahren statt zu reiten und wo die Colts weit effektiveren Waffen gewichen sind, kommt als geradezu archaischer Thriller daher, der eine im Grunde einfache Geschichte als virtuose Höllenfahrt erzählt.

Der arbeitslose Vietnam-Veteran Llewelyn Moss stößt während der Antilopenjagd im dünn besiedelten Westen von Texas auf ein bizarres Szenario: mehrere Pick-ups stehen in der Wildnis, von Kugeln durchsiebt, in ihnen mehrere Leichen, ein große Ladung Heroin und eine Tasche mit 2,4 Millionen Dollar. Moss nimmt den Schatz an sich, obwohl er sehr wohl ahnt, dass er seinem Schicksal und auch dem seiner jungen Frau einen sehr ungewissen Schwenk gibt. In der Tat befindet er sich im Nu als Gejagter in einem rasanten Katz-und-Maus-Spiel und inmitten der unüberschaubaren Jägertrupps der erbarmungsloseste Killer von allen, der psychopathische Chigurh.

Waren die Revolvermänner in alten Westernzeiten Mörder für Geld, so kommen bei diesem Perfektionisten mit der Vielfalt der Waffen zwei Spezialitäten hinzu: als ungewöhnliches Tötungswerkzeug ein druckluftbetriebenes Bolzenschussgerät und eine emotionale Nüchternheit, die zu makabren Ritualen beim Töten führt. So außergewöhnlich dieser bis zuletzt undurchsichtig bleibende Killer auch sein mag, seine Motivation für die unbeirrbare Auftragserledigung selbst trotz eigener Blessuren erweist sich als überraschend banal, denn das Wichtigste ist ihm der Beweis seiner Verlässlichkeit auch in schwierigen Situationen.

Da wundert es wenig, wenn Moss trotz seiner Vietnam-Erfahrungen als Scharfschütze kaum eine Chance des Entrinnens hat, dem Jäger aber dennoch einen atemberaubenden Wettlauf ums Überleben liefert. Bei all dem blutigen Geschehen meidet der Autor aber jeden Ansatz der Glorifizierung des harten Männertreibens, seine Actionszenen sind ausgesprochen packend gerade weil er sie zu nüchternen Albtraummomenten herunterbricht, die unter die Haut gehen.

Die dritte Hauptperson schließlich gibt dem Roman nicht nur seine fast philosophische Tiefe sondern auch die nötigen Ruhephasen des Durchatmens. Zugleich ist dieser Provinz-Sheriff Ed Tom Bell als dekorierter Held des Zweiten Weltkrieges der symbolische alte Mann, der mit den neuen Zeiten, die Anfang der 80er Jahre mit dem Drogenkrieg anbrechen, nicht mehr mithalten kann und dem düsteren Kulturpessimismus McCarthys die Stimme gibt: „Hier gab es in 41 Jahren keinen unaufgeklärten Mord, jetzt haben wir neun davon in einer Woche." Vergangen das alte Texas mit den zuweilen harten aber immer einfachen Antworten. Bells Weltbild droht am modernen Verbrechen unterzugehen. Er vermag den Guten nicht mehr zu helfen, da bleibt nur noch die Kapitulation, als die er den angestrebten Ruhestand empfindet.

Mit dem positiven Helden, dem nur ein verständlicher Fehler zum Verhängnis wird, dem Schlechten, der nie einen Fehler macht und dessen salbadernde Belehrungen in der letzten Stunde niemand überlebt, und schließlich dem Braven, der die neue Zeit nicht mehr durchschaut, hat McCarthy ein grandioses Trio geschaffen. Kühl, spröde und doch auch von düsterer Melancholie ist dieser Roman ähnlich dem Pulitzer-preisgekrönten Nachfolger „Die Straße" eine harte, beklemmende Lektüre ohne Trostzuweisungen, zugleich aber große Literatur mit dem Zeug zum Klassiker seines Genres.

 

 

# Cormac McCarthy: Kein Land für alte Männer (aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl); 284 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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