JENNY DOWNHAM: „BEVOR ICH STERBE"

Dieses Buch bekennt sich zu einem Tabubruch, denn im Mittelpunkt steht die leukämiekranke Tessa, die weiß, dass sie unwiderruflich nur noch eine kurze Spanne Zeit zu leben hat. Zugleich ist dieser Debütroman von Jenny Downham ein großartiges Stück Lebensweisheit im Angesichte der Endlichkeit menschlichen Seins.

Bevor ich sterbe" lautet der Titel, der keinen Zweifel daran erlaubt, dass die 16-Jährige ihrer seit vier Jahren voranschreitenden Krankheit in Kürze endgültig erliegen wird. Doch die junge Ich-Erzählerin flüchtet sich nicht in tränenaufgelöstes Selbstmitleid, sondern verlangt dem Rest Leben noch einiges ab. Auf einer Wunschliste schreibt sie auf, was sie in der verbleibenden Zeit unbedingt noch tun oder erleben will. Dazu zählen das Probieren von Drogen, einen ganzen Tag lang zu allem Ja sagen, etwas Verbotenes tun. Und sie will nicht als Jungfrau sterben.

Ihre drollige Freundin Zoey ist ihr nicht nur dabei eine große Hilfe, denn mit ihrem unbekümmerten Lebenshunger lässt sie gar nicht zu, dass die immer häufiger von Krankheitsschüben gepeinigte Tessa in ihr Leiden versinkt. Zu dem hinreißenden Kampf zur Umsetzung all der Ziele von der Liste gehört auch ein kurzes Sexabenteuer, das aber eher enttäuschend verläuft, während sich Zoey in derselben Nacht eine Schwangerschaft einfängt. Entstehendes Leben, an dem Tessa auf ihre Weise teilnimmt, obwohl sie ahnt, dass sie das Baby nicht mehr in den Armen halten wird.

Allerdings gelingen ihr bis dahin einige Abenteuer von bewegender Anarchie und durchsetzt von jenem immer wieder heraufbeschworenen sarkastischen Humor, mit dem Tessa ihr Schicksal trägt. Und der schale Geschmack des flüchtigen Sex wird von etwas ungleich Größerem, völlig Unerwartetem verdrängt, als sie Adam kennenlernt. Und mit ihm ein Liebesglück, das dem Leser in seiner Zärtlichkeit und Innigkeit noch weit tiefer unter die Haut geht als das gnadenlos nahende Leiden und seine ebenso unmissverständlich beschriebenen beklemmenden Begleitumstände.

Eine intensive Menschlichkeit durchzieht diese Geschichte und das gilt auch für die Situation in der Familie, wo die Dahinschwindende mit ihren zwischen Auflehnung, Anarchie und Dreinfügen wechselnden Stimmungen eine fast übergroße Herausforderung für den Vater ist und der kleine Bruder bei aller Liebe Mühe hat. Mit seiner zwangsläufigen Nebenrolle fertig zu werden. Schließlich lässt sich sogar die vor Jahren davongeflatterte Mutter durch Tessas Endkampf nach Hause locken und sei es vielleicht auch nur vorübergehend.

Die alles überragende Persönlichkeit aber ist diese starke Tessa in all ihrer Hinfälligkeit, die ihrem Adam mit ihrer brutaler Ehrlichkeit viel abverlangt und dabei das große Glück hat, dass er sie wirklich liebt und die nötige Reife in dieser Zeit der Herausforderung aufbringt. Tessa fragt sich, ob man lieben darf, wenn man stirbt, und sie findet die alles entscheidende Antwort darauf: „Es geht darum, dem Tod ins Auge zu sehen, aber nicht allein." Zugleich bereitet es ihr würgende Schmerzen, zu erkennen, dass die Lieben um sie herum Pläne für die nächsten Monate machen, die sie ganz sicher nicht mehr einschließen. Und unausweichlich versagt das Immunsystem mehr und mehr und zuletzt wird auch das Bewusstsein immer bruchstückhafter: „Es ist, wie wenn man die Lichter nach und nach ausknipst."

Mit überraschender Leichtigkeit hat Jenny Downham diese so authentische Geschichte über den Tod und die Liebe mit ungekünstelter Sprache zu einem ungeheuer intimen Roman, ja, zu einer fast unerträglich intimen, unmittelbarne Teilhabe am Dahinscheiden dieser jungen Frau gemacht. Ein wunderbares Buch, das niemanden wieder loslassen wird und trotz seines unentrinnbaren Endes Hoffnung macht.

 

# Jenny Downham: Bevor ich sterbe (aus dem Englischen von Astrid Arz); 319 Seiten; C. Bertelsmann Verlag, München; € 17,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 541 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de