WALTRAUD NAUMANN-BEYER: „ENDLICH JUNG"

Luzie Guthbrodt ist eine hinreißend attraktive Schauspielerin und offenbar keine 30 Jahre alt, als sie mitten in der Faust-Premiere als Gretchen in der Kerkerszene einen rätselhaften Tod stirbt. Während die Kripo jedoch im Dunkeln tappt, kommt Dr. Irene Lamm, die Luzie mehr als eine Freundin war, hinter das atemberaubende Geheimnis des wahren Alters und der jugendlichen Schönheit ihrer Geliebten.

Damit setzt der höchst ungewöhnliche Roman „Endlich jung" ein, den mit Waltraud Naumann-Beyer eine reale Philosphie-Professorin verfasst hat. Und es sei vorweggenommen: der Vertreterin der anspruchsvollen Geisteswissenschaften ist eine wahrhaft meisterliche Melange aus geistigem Anspruch und spannender Unterhaltung bei ihrem Spiel mit dem ewigen Menschheitstraum um die Jugend und den Sieg über das Altern gelungen.

Im Gegensatz zu manch abstrusen literarischen Konstrukten der Grundidee hat die Autorin eine fantasievolle und dennoch überzeugende Ausgangssituation erdacht. Die trauernde Freundin findet vor der Polizei ein verstecktes Päckchen mit Briefen und einer Pillenschachtel, das Abenteuerliches offenbart. Die stets so geheimnisvolle Luzie war nicht etwa die erstaunlichen 53 Jahre alt, was schon kaum einer glauben mochte – sie war unfassbare 253 Jahre alt! Ihre Ausführungen in der altmodischen Sprache des 18. Jahrhunderts legen dar, dass sie als junge Witwe einst als Aufwartefrau in den Haushalt des berühmten Philosophen Immanuel Kant kam.

Diesem hatte ein weiser jüdischer Arzt aus Berlin zum 75. Geburtstag Pillen gesandt, die das Schaffen des großen Geistes für weitere 400 Jahre sichern sollten. Jede Pille versetze den Probanden für 20 Jahre physisch in die Verfassung eines etwa 21-Jährigen. Geheimhaltung sei unerlässlich, denn „ein derartiges Mittel gehöre nicht in die Hände gewöhnlicher Sterblicher." Zu Luzies Glück war Kant zu dieser Zeit bereits so dement, dass er das Geschenk achtlos weglegte, sie aber probierte das Mittel aus – mit einzigartigem Erfolg. Als jugendlich wirkende Schauspielerin führte sie fortan ein von Erfolgen wie auch von sinnlichen und geistigen Genüssen geprägtes Leben, bei dem sie unter anderem sogar unter Goethes Regie Theater spielte.

Irenes Trauer verflüchtigt sich umgehend durch die Aussicht auf die Wirkung durch die Hinterlassenschaft. Doch die Freude wird gleich von zwei Seiten getrübt: einerseits zweifelt der hartnäckige Kommissar weiterhin am natürlichen Tod der viel zu jugendlichen 53-Jährigen, zum Anderen muss sie entdecken, dass jemand die übriggebliebenen 20 Pillen entwendet hat. Der Dieb war Luzies letzter Geliebter, ein ehergeiziger Pharmakologe, der offenbar etwas von ihrem Geheimnis spitzbekommen hat. Irene kommt ihm allerdings auf die Spur und verbündet sich mit seiner betrogenen Ehefrau.

Diese Evamaria findet die Pillen und tauscht sie aus, um ihn zu düpieren. Während daraus eine unterschwellige Krimigeschichte entsteht, wird der Selbstversuch der Frauen – beide in den späten 50ern und jenseits selbst der reifen Blüte – zu einem vollen Erfolg. Aber auch zu einem köstlichen Lesevergnügen, denn es funkelt vor Geist mit all den tiefgründigen philosophischen Gedanken über das Leben, das Altern und die Liebe, während andererseits das plötzlich aufblühende Liebesleben der gebildeten Damen eine Fülle hochsinnlicher erotischer Szenen aufrührt, die prickeln und dabei interessante Einblicke in ihr partnerschaftliches Denken zulässt.

Die Auflösung in einem schwungvollen Finale soll hier nicht verraten werden, doch die Leser werden diese grandiose Mixtur aus anspruchsvoller Unterhaltung und geistreich geschriebenem Bildungsroman bis zur letzten Zeile genießen. Fazit: „Endlich jung" ist zwar ein simpler Titel, aber ein lebensweises Buch voller Witz, Charme und Spannung.

 

# Waltraud Naumann-Beyer: Endlich jung; 318 Seiten; Das Neue Berlin, Berlin; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 534 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de