SIMON SEBAD MONTEFIORE: "DER JUNGE STALIN"

Woher kam Stalin? War er ein farbloser Parteifunktionär und ein mittelmäßiger Mensch, wie unter anderem Trotzki behauptete? Stalin (1878-1953) selbst sorgte dafür, dass seine Herkunft weitgehend im Dunkeln blieb und er lediglich als Kaukasier aus einfachen Verhältnissen galt, der nach dem Willen der Mutter hätte Priester werden sollen.

Es war dem britischen Historiker Simon Sebag Montefiore vorbehalten, den Schleier der Vermutungen gründlich zu lüften. Schon für seine monumentale Biographie „Stalin. Am Hof des Roten Zaren" hatte er jahrelang vor Ort recherchiert. Nun konnte er bis vor kurzem unter Verschluss gehaltene Archive einsehen und in der georgischen Heimat des Diktators wurde er in besonders reichem Maße fündig. Entstanden ist daraus die Biographie „Der junge Stalin", die viele Fehleinschätzungen beseitigt und zugleich in Teilen wie ein verwegener Abenteuerroman erscheint, obwohl alles auf Fakten und Zeugenaussagen gestützt ist.

Schon der Einstieg wirkt geradezu filmreif, denn hier wird ein gewaltiges Attentat geschildert, bei dem eine Verbrecherbande am 13. Juni 1907 in Tiflis einen staatlichen Geldtransport mit 300.000 Rubel überfiel. Dieser Wildwest-Überfall kostete 40 Menschenleben und fand weltweite Beachtung. Drahtzieher war Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili, der sich ab 1912 Stalin nannte. Der terroristische Akt war allerdings nicht die Tat von gewöhnlichen Räubern, denn zu dieser Zeit war Stalin längst der eifrigste illegale Geldbeschaffer für den Bolschewikenführer Lenin.

Doch bis dahin war „Koba" so sein früherer Kampfname, bereits ein berüchtigter Verbrecher, ein skrupelloser und blutrünstiger Gewaltmensch, auf dessen Konto Diebstahl, Raub, Erpressung, Menschenraub und später auch noch die Verführung einer 13-Jährigen gingen. Seine mehrfachen Verurteilungen jedoch erhielt er ausschließlich wegen seiner politischen Agitationen für die Bolschewisten. Seine vierjährige Verbannung ins fernste Sibirien war denn auch der tatsächliche Grund, warum er angeblich den Ausbruch der Oktoberrevolution von 1917 „verschlief". Sein früheres Leben als Verbrecher mit immer neuen Pseudonymen, Unterschlupfen und Fluchten prägte seine Paranoia wie auch seine Verschlagenheit, nachdem er in ganz jungen Jahren sogar ansprechende Gedichte verfasst hatte. Doch Montefiore belegt eben auch die Intelligenz und ungeheure Belesenheit des abgründigen Taktikers und Strategen, dessen Liste der Straftaten ungleich länger als bekannt ist, aber ebenso die der vorrevolutionären Leistungen.

Trotz schmächtiger Gestalt und körperlicher Makel übte er große Anziehungskraft auf Frauen aus und nutzte sie skrupellos aber gleichgültig, denn seine wirklichen Leidenschaften waren die Politik und die Machtausübung. Der Biograph macht den düster faszinierenden Weg des frühen Berufsverbrechers zum Despoten und Jongleur der „Großen Säuberung" deutlich, für den die Oktoberrevolution die einzigartige Alternative zum Leben als Räuberhauptmann wurde. Das kennzeichnet auch den wesentlichen Unterschied zu seinen Zeitgenossen Hitler und Mao: sie kamen an die Macht und herrschten verbrecherisch, mit Stalin aber kam ein Besessener an die Macht, der bereits ein Schwerverbrecher war. Die Abermillionen von Opfern schließlich einen die drei Ungeheuer des 20. Jahrhunderts wieder zum Teufelspakt.

Der Autor macht mit seinen fesselnd geschriebenen Ausführungen vieles verstehbarer, dabei jedoch nicht nur die finsteren Seiten, sondern auch jene Eigenschaften und Erfahrungen, die Stalin zum unerschrockenen Kriegsherren und gewieften Politiker machten, der die Sowjetunion zur Weltmacht führte. Fazit: eine Lektüre, die nicht nur Historiker begeistern wird, zumal sie eine echte Lücke schließt. Und wer den 'ganzen' Stalin kennenlernen will, dem sei Montefiores hochgelobtes Werk „Stalin. Am Hof des Roten Zaren" empfohlen, das jetzt in einer wohlfeilen Taschenbuch-Ausgabe vorliegt.

 

# Simon Sebag Montefiore: Der junge Stalin (aus dem Englischen von Bernd Rullkötter); 544 Seiten, div. Abb.; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 24,90

# Simon Sebag Montefiore: Stalin. Am Hof des Roten Zaren (aus dem Englischen von Hans Günter Holl); 874 Seiten, div. Abb., Taschenbuch; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 12,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: Bio 218 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de