JOHN STAPE: „IM SPIEGEL DER SEE"

Joseph Conrad war unbestritten einer der größten Schriftsteller der Moderne und passend zu seinem 150. Geburtstag am 3. Dezember liegt nun die Biographie des britischen Conrad-Experten John Stape vor, deren Titel bereits auf das Außergewöhnliche des Autors verweist: „Im Spiegel der See. Die Leben des Joseph Conrad".

Wenn Conrad auch schon früh als einer der großen britischen Romanciers galt, muss man vorausschicken, dass das Englische, dessen er sich in all seinen Werken so wortgewaltig bediente, erst seine dritte Sprache war. Geboren wurde er in der Nähe von Kiew als Josef Teodor Konrad Korzeniowski, Sohn eines polnischen Aristokraten, der wegen nationalistischer Konspirationen samt Familie nach Nordrussland zwangsumgesiedelt wurde. Schon mit elf Jahren war der Junge Vollwaise und mit 16 floh er nach Frankreich, um nicht im russischen Militär dienen zu müssen. Nach Französisch aber lernte er Englisch erst, als er in der englischen Handelsmarine eine bescheidene Karriere machte.

Die weltweite Seefahrt wurde ihm zeitweise zum Elixier und ein Höhepunkt war die alptraumhafte Fahrt auf dem Kongo, die später zur Vorlage des legendären „Herz der Finsternis" (1899) wurde. Es war eine erneute unfreiwillige berufliche Pause, die den kunstsinnigen Hungerleider zur Feder greifen ließ. Schon „Almayers Wahn" (1895) erntete beste Kritiken und dann noch mehr „Der Verdammte der Inseln", denn Conrad schrieb von exotischen Abenteuern auf hohem literarischen Niveau. Doch selbst seine besondere Meisterschaft, die menschliche Seele im Spiegel der See zu ergründen, konnte ihn weder von seiner noch lange andauernden Armut noch von seinen lebenslangen schweren Depressionen befreien.

Der Biograph hatte als Erster einen lückenlosen Einblick in Conrads gesamte Korrespondenz und konnte so eine bisher ungekannte Nähe zu diesem sich selbst fremden, äußerst komplexen und in sich widersprüchlichen Genie herstellen. Das Trauma der Kindheit, die tiefe Einsamkeit, die auch die recht späte Ehe mit der 16 Jahre jüngeren Jessie nur lindern konnte, quälende Schreibblockaden und diverse Krankheiten trübten Conrads Leben trotz aller Erfolge zu einer Fahrt durch ein Tal der Tränen. Erst mit fast 60 machte ihn sein Schaffen zu einem wohlhabenden Mann und als er 1924 mit gerade 66 als verbrauchter alter Mann starb, hinterließ er ein unvergleichliches, noch heute aktuelles Werk.

Diese exzellent recherchierte und bei aller Genauigkeit ohne Heldenverehrung auskommende Biographie fesselt mit einem Lebensbericht, der fast so romanhaft ist, wie Conrads große Werke. Und sie führt in die bedeutsamen persönlichen Beziehungen dieses wechselvollen Lebens ebenso ein wie in des Autors tiefgründige Leitmotive von zeitloser Modernität.

 

# John Stape: Im Spiegel der See. Die Leben des Joseph Conrad (aus dem Englischen von Eike Schönfeld); 543 Seiten, div. Abb.; marebuchverlag, Hamburg; € 39,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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