ISABEL ALLENDE: „INÉS MEINES HERZENS"

Isabel Allende zählt zu den größten Romanciers Lateinamerikas und auch ihr jüngster, vor realem Hintergrund spielender Roman weist fast alle ihrer großartigen Talente packender farbiger Fabulierkunst auf. Dennoch ist „Inés meines Herzens" zu einem Licht- und Schattenbuch geraten, für das man nur begrenzt dankbar sein kann.

Im Mittelpunkt steht Ich-Erzählerin Inés Suarez, die als alte Frau am Ende ihres Lebens im Jahre 1580 ihrer Stieftochter ihre bewegende Geschichte aufschreibt. Die Chronistin ist eine historische Figur, die einst als Conquistadora mit dem spanischen Feldherrn und Eroberer Pedro de Valdivia und einer Schar von 150 Soldaten sowie indianischen Hilfstruppen nach Chile zog und gewissermaßen zur Mitbegründerin dieser neuen spanischen Kolonie und 1541 auch seiner Hauptstadt Santiago wurde.

Als Mädchen aus einfachen Verhältnissen hatte sie in Spanien einen Leichtfuß geheiratet, der ihr die Liebe beibrachte, sich dann aber nach Südamerika absetzte. Der willensstarken attraktiven Frau gelingt es, ihm zu folgen, doch offenbar ist er bei einer der vielen Eroberungszüge gefallen. Dann begegnet sie Valdivia und wird sofort und für zehn intensive Jahre seine Geliebte, aber auch seine seine Kampfgefährtin. Ihren Wünscherutenfähigkeiten verdankt der kleine Eroberungszug aus Peru kommend, dass er den Zug durch die Atacama-Wüste übersteht und bei den blutigen Kümpfen zur Verteidigung Santiagos gegen die unbezähmbaren Mapuche ist sie es, die in furioser Verzweiflung eigenhändig sieben indianische Geiseln köpft und damit die Stadt rettet.

Trotz endloser Kämpfe, die ebenso detailgenau wie ungeheuer plastisch und packend geschildert werden, steht bei der Erzählerin die Liebe und hier vor allem deren leidenschaftlicher Aspekt unverrückbar im Vordergrund. Doch so sehr man über manche erotischen Szenen staunt und auch beeindruckt ist vom Wandel der heißblütigen Geliebten des ruhmsüchtigen Haudegens Valdivias zur innig liebenden Ehefrau des Gouvereurs der Stadt, so sehr muss man sich wundern über das Unbeteiligtsein der Autorin bei all den rein literarisch exzellent gelungenen Schilderungen der ungeheuren Gräuel. Wann immer die Spanier auf Widerstand treffen, scheinen sie es geradezu als ihre Christenpflicht anzusehen, ganze Indianerstämme auszurotten, sämtliche Frauen zu schänden, unzählige Eingeborene zu foltern und zu versklaven. Wenn Inés dann erzählt, wie Valdivia als Strafaktion 200 gefangenen Indianern die rechte Hand und die Nase abhacken lässt, tut sie es nüchtern und ohne jeden Anflug von Scham.

Gibt es in dieser Liebesbeichte einer starken Frau des 16. Jahrhunderts so gar kein Verständnis für den unablässigen Kampf der Eingeborenen gegen die grausamen Eroberer? Da klingt es verräterisch, wenn die Dona im schwer beschädigten Santiago klagt: „Wir möchten Städte gründen und vorankommen, ein gesittetes und behagliches Leben führen, sie aber sind einzig auf Freiheit aus." Erst gegen Ende ihres Lebensberichtes, nach der Schilderung des barbarischen Ringens gegen die unbeugsamen Mapuche und des entsetzlichen Endes Valdivias räumt sie ein: „Wäre ich an ihrer Stelle, ich würde wie sie im Kampf um mein Land sterben."

Die Nichte von Salvador Allende, selbst in Chile aufgewachsen, lässt die Konquistadoren weitgehend als Helden erscheinen, die sich für ihre große Aufgaben aufgeopfert haben, das Land für ihren König zu erobern und die Wilden zum Christentum zu bekehren. Dass diejenigen, denen dieses Land ursprünglich gehörte, wie jene fremden Eindringlinge zu ihren Vorfahren gehörten, bleibt in diesem sonst so glänzend erzählten Werk fast weniger als ein Randnotiz. Ihr entsetzliches menschliches Leid zur Kulisse einer hingebungsvollen Liebesgeschichte zu degradieren, grenzt an Borniertheit und sollte einer Isabel Allende unwürdig sein.

 

# Isabel Allende: Inés meines Herzens (aus dem Spanischen von Svenja Becker); 397 Seiten; Suhrkamp Verlag, Frankfurt; € 19,80

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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