THOMAS BRUSSIG: „DIE BERLINER ORGIE"

Thomas Brussig ist bekannt für gewitzte Romane mit viel Hintersinn und manchen Widerhaken. Sein neuestes Werk „Berliner Orgie" fällt jedoch nach „Helden wir wir" oder „Wie es leuchtet" seltsam andersartig aus, denn der Autor hat sich auf einen ungewöhnlichen Handel eingelassen: für eine Boulevardzeitung sollte er eine umfassende Bordellreportage machen.

Ausgerechnet im WM-Sommer 2006 ist er also losgetigert und nach dem berühmten Feuerzangenbowle-Motto „Da stellen wir uns erst mal janz dumm" vorgegangen, somit völlig naiv. Vom Straßenstrich über allerlei Sexclubs und Durchschnittspuffs bis zum Eskortservice und Swingerclub hat er sich durchgearbeitet und alles fein säuberlich jeweils nach getanem Abend- bzw. Nachtwerk niedergeschrieben. Aber – nun kommen die Einschränkungen, die für das Ergebnis von entscheidender Bedeutung sind.

Brussig outet sich zwischendurch als notorischer Nicht-Puffgänger und gesteht trotz vereinzelten sympathischen 'Gesprächspartnerinnen', dass er nicht mit Nutten könne: „Mich stört, dass es über das Geld läuft." Noch mehr pfui findet er, dass die Damen für möglichst viel Geld möglichst wenig bieten wollen, was ja wirklich irgendwie nicht sehr nett ist. Das größte Hemmnis für einen herzhaft authentischen Bericht war allerdings, dass es nie „zum Äußersten" kommen durfte, das hatte er nämlich Mutti daheim versprechen müssen.

Man höre und staune: da geht also einer auf Bordelltestreise ohne auch nur mal handgreiflich zu testen, geschweige denn mehr zu wagen, obwohl die Zeitung die vollen Spesen trug. So rein sachlich gesehen, stellt sich das dann etwa so realistisch dar wie der Bericht über Gefühl und reelles Erleben eines Formel 1-Rennens von einem, der mal im Autohaus einen Ferrari in Augenschein genommen hat und sogar weiß, wie sich das echte Fahrgeräusch anhört.

Ob dies ein Verriss sein soll? Durchaus nicht, man darf die ganze Chose nur einfach nicht ernst nehmen. Schließlich erklärt Brussig selbst, er sei durch die Szene „flaniert" und habe seiner Frau hernach berichtet. Und treuherzig erzählt er durchgehend von platonischem Wechselsex, der Titel „Berliner Orgie" jedoch ist ungefähr so übertrieben wie so manche Erwartungen, die die netten Damen da ständig zu suggerieren versuchen. Fazit: Da haben wir uns auf unterhaltsame und ziemlich heitere Weise mal janz dumm gestellt und sind es zum Schluss immer noch so ziemlich...

 

# Thomas Brussig: Die Berliner Orgie. Reportage-Roman; 205 Seiten; Piper Verlag, München; € 16,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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