TOM SEGEV: „1967. ISRAELS ZWEITE GEBURT"

Als Israels Streitkräfte am Morgen des 5. Jnui 1967 Ägypten, Jordanien und Syrien angriffen, hatten sie mit der Zerstörung der feindlichen Luftwaffen gegen Mittag quasi schon den dann nach sechs Tagen feststehenden grandiosesten Sieg der Militärgeschichte errungen. Wie es dazu kam und warum der Nahe Osten trotzdem oder gerade deshalb bis heute in unlösbar erscheinenden kriegerischen Verwicklungen steckt, schildert Tom Segev.

1967. Israels zweite Geburt" lautet der Titel und der jüdische Historiker und Journalist geht dabei mit nüchterner Selbstkritik vor und schafft zugleich einen hochspannenden Einblick in die Situation, die zum dritten militärischen Nahostkonflikt führte. Es fließen bisher unbekannte Quellen aus US- und israelischen Archiven ebenso ein wie Augenzeugenberichte, Briefe normaler Bürger und Protokolle. Zunächst zeigt Segev die deprimierte Stimmung im Israel von 1966/67 auf: Wirtschaftskrise, drastischer Rückgang der Einwandererzahlen und der Vater des modernen Judenstaates David Ben Gurion hatte sich zurückgezogen und kleinteiligem Parteiengezänk den Weg freigemacht.

Außenpolitisch dagegen brodelte es, denn Ägyptens Nasser als selbsternannter Araberführer drohte unverhohlen damit, „die Juden ins Meer zu jagen". Und im Frühjahr 1967 gelang es ihm, die UNO-Friedenstruppen aus dem Sinai zu drängen und er sperrte die wichtige Meeresstraße von Tiran, Israels Seeweg nach Eilat. Im Volk machte sich großes Bangen vor einem zweiten Holocaust breit und viele sahen den jungen Staat in der gleichen Rolle wie die Tschechoslowakei vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Um so ungehemmter war die Euphorie nach dem umfassenden Militärerfolg dieses „Sechstagekrieges" bei geringen eigenen Verlusten. Zugleich kontrollierte man nun ein Territorium, das ungleich größer war als das eigentliche Staatsgebiet.

Und hier nun stellt Segev seine Meisterschaft der Analyse endgültig unter Beweis, wenn er den Triumph als Pyrrhus-Sieg entlarvt. Die besetzten Gebiete sollten lediglich als Faustpfand für Frieden und Anerkennung dienen - bis heute weitgehend vergebens. Zugleich herrschte der Judenstaat plötzlich über eine Million feindlicher Palästinenser mit den bekannten Problemen für die gesamte Weltpolitik. Segev fällt deshalb ein hartes Urteil über die Regierenden, die den großen Sieg dann politisch bis auf den heutigen Tag so gründlich verpfuschten. Und das Fazit seiner brillanten Darlegungen ist bitter: „1967 dauert immer noch an – es ist das längste Jahr."

 

# Tom Segev: 1967. Israels zweite Geburt (aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm, Hans Freundl, Enrico Heilmann); 797 Seiten; Siedler Verlag, München; € 28

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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