LISA St AUBIN de TERÁN: „DECKNAME OTTO"

Offiziell ist „Deckname Otto" ein Roman über einen farbenfrohen Rebellen aus den Anden, doch die britische Erfolgsautorin Lisa St. Aubin de Terán überschreitet mit ihrer Lebensgeschichte eines Revolutionärs nicht nur weit die Grenzen der Tatsachennähe, sie geht sogar mit Oswaldo Barreto Miliani auf Lesereisen und dessen Revolutionärsname lautete wegen seiner Liebe zu den deutschen Philosophen – Otto.

Doch ob Fiktion oder biographisch, dies ist die hinreißende Bilanz eines Mannes, der schonungslos und zugleich voller Selbstironie auf sein verrücktes Leben zurückschaut. In den Worten der Autorin wird daraus eine Komödie der Irrungen, in der der Held, der 1934 in den venezolanischen Anden geboren wurde, quasi ein Leben als Berufsrevoluzzer führte. Als Ich-Erzähler lässt er hier einen Kosmos entstehen, der von naivem Idealismus im dauerhaften linksorientierten Befreiungskampf geprägt ist.

Allerdings führen ihn seine sämtlichen hochidelogisierten Irrwege zwar weltweit in immer neue Revolutionen und natürlich kämpft er Seite an Seite mit Helden wie Castro, Che Guevara, Regis Debray und vielen anderen. Das Dumme ist nur – Otto scheitert stets und muss dafür zeitweise sogar heftig mit Haft und Folter büßen. Da zählt jener grandiose Banküberfall in jungen Jahren – mit Riesenbeute und gänzlich unblutig – noch zu den erfolgreichsten Ruhmestaten. Zu den Zutaten diese Lebensberichts im Stile eines trockenhumorigen Schelmenromans gehören jedoch auch die schillernden Zeiten in Europa, wo seine Heldentaten die des Wortes sind.

Und seine Wortgewalt führte schließlich auch zu einem besonderen Erfolg, der hier als eine der faszinierendsten von vielen verwegenen Geschichten mit einfließt: wie der nach eigener Aussage hässliche Gnom die schöne persische Aristokratin Vida belagert, erobert und sogar zur Revolutionärin und Ehefrau macht. Da erinnert manches im Erzählton wie vom Inhalt an Vargas Llosas großartigen Altersroman „Das böse Mädchen" und das gilt dann auch für die bewegenden Schilderungen der Ereignisse vom Militärputsch in Chile im September 1973, die Otto als hochgefährdeter Ausländer miterlebte.

Wenn dieses Buch ein Roman ist, dann einer, der bis zur letzten Zeile fesselt. Ist er eine Biographie, so kommt ihr ein unvergleichliches Verdienst zu, denn selten hat ein intellektuell glaubwürdiger ehemaliger Aktiver den Weg vom kommunistischen Freiheitskämpfer zum desillusionierten Antikommunisten so überzeugend begründet: „Niemand hat das Recht, einen anderen Menschen zu zwingen, sich zu befreien." Fazit: ein ebenso raffiniertes wie anspruchsvolles Lesevergnügen.

 

# Lisa Saint Aubin de Terán: Deckname Otto (aus dem Englischen von Ebba D. Drolshagen); 574 Seiten; Insel Verlag, Frankfurt; € 22,80

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: NF 193 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de