SARAH WATERS: „DIE FRAUEN VON LONDON"

Für ihren jüngsten Roman „Die Frauen von London" erzielte Sarah Waters bereits ihre zweite Nominierung für den Booker Prize. Und tatsächlich erweist sich dieses Buch als ebenso meisterhaft in der Geschichte, die erzählt wird, wie in auch in dem nur auf den ersten Blick wenig neuen Thema.

Beziehungsgeflechte im London der Kriegs- und Nachkriegsjahre, das klingt zunächst wenig spektakulär, aber die junge Autorin stellt nicht die üblichen Helden in den Mittelpunkit sondern Frauen, die in normalen Zeiten allenfalls dadurch auffallen würden, dass drei von ihnen lesbisch sind und die vierte einen verheirateten Liebhaber hat. Doch die Geschehnisse setzen 1947 ein, der Frieden ist zwei Jahre alt, die Verhältnisse allerdings sind weder wieder ganz normal, noch haben sie den unterschwelligen abenteuerlichen Charme der Kriegsjahre mit ihren Bombennächten, der täglichen Angst ums Überleben, den unerlaubten Beziehungen sowie den sexuellen und sonstigen Freiheiten.

Als erste ist da Kay, die sich im Krieg so tapfer geschlagen hat, sich im Frieden mit ihrer männlichen Auffmachung aber verdächtig macht und sich irgendwie noch nicht wieder recht gefunden hat. Ihre Partnerin Helen betreibt mit Viv eine Partnervermittlung, hängt selbst aber immer noch an Reggie, ihrem verheirateten Liebsten. Hinzu kommt noch Vivs Bruder Duncan, der den Krieg wegen einer obskuren Geschichte im Gefängnis verbrachte. Und schließlich spielt noch Julia eine Rolle, im Krieg Bauinspektorin, eigentlich aber Schriftstellerin, die eine Affäre mit Helen hat.

Alle waren im Krieg als Liebhaber oder Zufallsbekanntschaften miteinander verflochten, durchleben jetzt jedoch eine Art Kater nach den makabren Partyjahren des Krieges. Und hier setzt die geniale Dramaturgie der Autorin mit einem raffinierten und souverän umgesetzten Kniff an, denn sie schildert die Ereignisse gewissermaßen rückwärts. Nach der Jetztzeit von 1947 geht es zurück ins Jahr 1944 voller Bombennächten, in denen die Frauen als Krankenwagenfahrerinnen ihr Bestes geben und vor allem Kay sich durch viel Mut auszeichnet. Und der Roman schließt mit 1941, als das Kriegsende noch längst nicht absehbar war, zugleich aber erschließt sich mit jedem zeitlichen Rückschritt, wie die Verbindungen einst erblühten, wie die exzellent gezeichneten Charaktere einst waren und warum sie sich zu dem entwickelten, was eingangs berichtet wurde.

Dass diese außergewöhnliche Darstellungsweise so durch und durch fesselt, liegt sowohl an der meisterhaft durchgehaltenen Erzählkunst wie auch an dem exzellent recherchierten Zeit- und Lokalkolorit. Zu den Höhepunkten zählen dabei einige Szenen aus den Bombennächten, aber auch die tiefen Einblicke in die Psyche der Protagonisten, die ausnahmslos authentisch wirken. Und zum Schluss fällt einem der makabre Satz aus den letzten Tages des Kriegsgeschehens in Deutschland ein: „Leute, genießt den Krieg – der Friede könnte furchtbar sein!" Fazit: ein hervorragender Roman zu einem spannenden Thema, für den man sich lediglich eine etwas elegantere Übersetzung gewünscht hätte.

 

# Sarah Waters: Die Frauen von London (aus dem Englischen von Andrea Voss); 502 Seiten; Gustav Kiepenheuer Verlag, Berlin; € 21,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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