ARIANA FRANKLIN: „DIE TOTENLESERIN"

England 1171, bei Cambridge wird ein toter Junge aufgefunden, angeblich von Juden gekreuzigt. Als bald noch drei weitere Kinder bestialisch ermordet werden, können die Juden vor dem Mob nur gerettet werden, indem man sie in der Burg einsperrt. Für König Henry II., der nach der Ermordung von Thomas Beckett ohnehin Ärger mit dem mächtigen Klerus hat, ist die Situation misslich, denn die Juden sind seine wichtigsten Steuerzahler und er glaubt nicht an ihre Schuld.

Aus dem fernen, in der Medizin führenden Salerno fordert er deshalb einen Totenarzt an, um die Morde aufzuklären. Niemand ahnt, dass man ausgerechnet die besonders fähige Ärztin Adelia entsendet, in Begleitung eines jüdischen Agenten und eines sarazenischen Eunuchen als Leibwächter. Die smarte 25-Jährige muss unbedingt inkognito bleiben, sonst droht der Totenleserin der Tod als Hexe. Und „Die Totenleserin" heißt auch der Titel des überaus spannenden Historienkrimis von Ariana Franklin, der die intelligente Frau in ein barbarisches und von Aberglauben geprägtes rückständiges England bringt.

Schon der Einstieg ist stark, als Adelia einem vom Blasenverschluss gepeinigten Kirchenmann Erleichterung verschafft. Mag er nun auch ein kluger, einsichtiger Mitwisser ihres Geheimnisses sein, andere Kirchenvertreter werden samt dem heimtückischen Mörder zu lebensgefährlichen Feinden. Doch auch des Königs Steuereintreiber Sir Roland, der auf die Pathologin einen verwirrenden Einfluss ausübt, erscheint hoch verdächtig. Und der geifernde Hass auf alles Fremde ist in diesen Zeiten des finstersten Mittelalters ähnlich allgegenwärtig wie der auf Juden, Sarazenen und 'wissende' Frauen wie Adelia.

Die Autorin hat daraus eine athmosphärisch dichte Geschichte geflochten, die mit allerlei überraschenden Wendungen ebenso aufwartet wie mit starken originellen Charakteren und faszinierenden Einblicken in die forensische Medizin jener Zeit. Zum großen Lesevergnügen trägt überdies die wohltuend moderne, zupackende Sprache bei, die vor Emotionen nicht zurückschreckt, aber auch zuweilen mit derbem Witz für Farbe sorgt.

 

# Ariana Franklin: Die Totenleserin (aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann); 477 Seiten; Droemer Verlag, München; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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