HISHAM MATAR: „IM LAND DER MÄNNER"

Ein tief bewegender politischer Roman ist Hisham Matars Debüt „Im Land der Männer" und der einzigartige zwingende Aspekt ist dabei, dass die Geschehnisse mit den Augen eines Neunjährigen erzählt werden, mit all seiner altersmäßigen Naivität. Geschildert wird der extrem heiße Sommer 1979 in Libyen, in dem die Schergen des Revolutionskommittees das Land für den geliebten Wohltäter und Führer Ghaddafi von Verrätern säubern.

Suleiman lebt mit seinen Eltern in einer Vorstadt von Tripolis und hat ein besonders inniges Verhältnis zu seiner Mutter, während der Vater häufig auf angeblichen Geschäftsreisen unterwegs ist. Die Mutter, die mit 15 zwangsverheiratet wurde und sich nun mit heimlich vom Bäcker beschaffter hochprozentiger „Medizin" tröstet, empfindet den älteren Ehemann als Strafe für ungezwungenes Benehmen als Teenager, während der geliebte Sohn ihr Schicksal beisegelt habe. Die für den Jungen ohnehin schwer verständliche Situation wird jetzt noch mysteriöser, als es zu seltsamen heimlichen Treffen der Erwachsenen und geflüsterten politischen Parolen kommt.

Dann erspäht Suleiman den Vater auf der Straße, obwohl er angeblich geschäftlich verreist ist, und es tauchen Männer in weißen Autos auf, die Ustaz Raschid, den Vater von Suleimans bestem Freund Karim, abholen. Die Mutter verbrennt eilig Vaters geliebte Bücher samt seiner Aufzeichnungen und es folgt ein barbarischer Akt, der Suleiman in eine tiefsitzende stille Panik versetzt. Er sieht im Fernsehen, wie Karims Vater erst scharf verhört und dann im Basketballstadion unter dem fanatischen Gejohle einer aufgeputschten Menschenmenge aufgehängt wird.

Doch plötzlich ist auch Suleimans Vater verschwunden und als er wieder auftaucht, darf der Junge ihn tagelang nicht sehen. Um dann den schockierenden Grund zu erkennen: Vater war als Dissident inhaftiert und ist durch Folter grausam zugerichtet. Für den Jungen wird das unbegreifliche Geschehen grenzenlos unheimlich und die Eltern treiben dieses Grauen der kindlichen Allgegenwart ohne Ausweg in die endgültige Traumatisierung, als sie ihn aus begründeter Sorge zu einem Onkel ins ägyptische Kairo schicken, einem Asyl, aus dem er nie wieder heimkehren wird. Empfanden sich Mutter und Sohn bis dahin schon wie Gäste in einem Land, das einzig durch Männer bestimmt wurde, führt die Trauer um die dennoch vertraute und jetzt verlorene Welt für den Jungen zu einer Sehnsucht so schmerzlich wie die eines Waisenkindes.

Und das berührt den Leser zutiefst, denn alles wird ja mit den Worten des Neunjährigen berichtet, der nicht verstehen kann, was ihm, seinen Eltern, seinen Freunden geschieht. Mit der naiv direkten und gleichermaßen poetischen Betrachtungsweise fesselt dieses brillant geschriebene Buch und beeindruckt um so mehr, wenn man weiß, dass der Autor zur selben Zeit im selben Alter erst in Libyen und dann im Exil lebte und dass auch sein 1990 aus Kairo verschleppter Vater 1995 in Tripolis verschwunden ist. Zugleich ist dieser sehr persönliche hochauthentische Roman exemplarisch für die fatalen Auswirkungen der Unrechtstaten in derartigen Tyrannenstaaten gerade auch auf Kinder.

# Hisham Matar: Im Land der Männer (aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence); 255 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 472 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de