FREDERICK FORSYTH: „DER AFGHANE"

Nüchtern, ja geradezu sachbuchartig beginnt der neue Roman des britischen Bestsellerautors Frederick Forsyth, um sich schließlich zu einem atemberaubenden Thriller zu entwickeln, bei dem sich dem Leser die Nackenhaare sträuben. Das Geschehen spielt in der Gegenwart beziehungsweise in der ganz nahen Zukunft und im Mittelpunkt steht titelgebend „Der Afghane".

Bei einem Geheimdiensteinsatz in Pakistan entzieht sich ein hochrangiger Finanzmanager der Terrororganisation al-Quaida der Verhaftung durch Selbstmord. In seinem nur unzureichend zerstörten Laptop stoßen die Ermittler auf das Codewort „Al-Isra" und sind elektrisiert: Al-Isra bezeichnet jene legendäre Reise Mohammeds von Arabien nach Jerusalem und von dort in den Himmel. Diese Überlieferung gilt als ein Eckpfeiler des Islam und einen solch heiligen Begriff für einen geplanten Anschlag zu verwenden, kann nur auf einen Terrorakt allergrößten Ausmaßes hinweisen.

Extrem abgeschottet, gibt es keinerlei Quellen, die bis in den innersten Kreis der al-Quaida-Führung reichen, nur dort aber ist bekannt, welche gigantische Teufelei den 11. September 2001 noch übertreffen soll. Als Verzweiflungstat bleibt offenbar nur der Versuch einer Infiltration und hier nun bahnt sich die Idee eines Doppelgängers an - „der Afghane" soll es richten. Ihn findet man in einem alten Bekannten aus früheren Romanen Forsyth', den soeben pensionierten Spezialagenten Mike Martin. Der kampferprobte 44-Jährige ist der einzig denkbare Anwärter, denn durch indische Vorfahren sieht er orientalisch aus und er beherrscht das Arabische perfekt, weil er im Irak aufgewachsen ist.

Ein zusätzlicher Vorteil ist Martins Einsatzzeit bei den Afghanen, als er diese zur Zeit der sowjetischen Herrschaft im Kampf unterstützte und dabei den jugendlichen Rebellen Izmat Khan rettete. Dieser wurde später beim alliierten Feldzug gegen die Taliban als einer ihrer Kommandeure gefangengenommen und sitzt nun als ebenso unbeugsamer wie hasserfüllter Insasse in Guantanamo. Der riskante Plan sieht vor, dass Khan vermeintlich nach Afghanistan überstellt und dabei heimlich durch Colonel Martin ersetzt wird. Die Operation Crowbar (= Brecheisen) nimmt ihren Lauf ins Ungewisse.

Al-Isra erweist sich schließlich als ein Unternehmen, wie Geheimdienstexperte Forsyth es als konkrete Gefahr für die nahe Zukunft voraussieht: ein Anschlag per Schiff nach einem raffinierten Plan und mit einer teuflischen Ladung, die keine nennenswerten Erfordernisse an die wissenschaftlichen Fähigkeiten der Ausführenden stellt. Und wenn dann noch der G 8-Gipfel auf einem Luxusliner wie der riesigen „Queen Mary 2" stattfindet...

Mehr soll hier nicht verraten werden. Doch schon lange vor dem furiosen Finale fesselt dieser Roman mit dem fachkundigen Eintauchen in die Welt der realen aktuellen Spionage und noch mehr in den Erläuterungen zum theoretischen Unterbau der al-Quaida-Terroristen, der weitgehend im krassen Gegensatz zu den Lehren des Koran steht. In alter Meisterschaft steigert Forsyth dabei zunehmend das Tempo, während zugleich gerade die nüchtern harte Sachlichkeit der Schilderung zum Frösteln beiträgt, denn sie lässt die Distanz zwischen beschriebener Fiktion und konkreter Bedrohung auf beängstigende Weise schmelzen.

Egal, ob „Der Afghane" zu seinen besten Werken zählt, das beunruhigend aktuellste hat Frederick Forsyth damit auf jeden Fall vorgelegt und einen absolut filmreifen Lesestoff, den man bis zur letzten Zeile nicht mehr aus der Hand legen mag.

 

  # Frederick Forsyth: Der Afghane (aus dem Englischen von Rainer Schmidt); 352 Seiten; C. Bertelsmann Verlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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