TIM PARKS: „STILLE"

Stille" heißt der jüngste Roman von Tim Parks und tatsächlich passiert nicht viel und es dreht sich fast alles nur um eine einzige Person, dennoch fesselt dieses Psychogramm eines Egomanen in der Lebenskrise ungemein. Dabei ist der berühmte britische Fernsehjournalist Harold Cleaver nicht einmal ein wirklicher Sympathieträger und man bestaunt seine Wandlungen und Anwandlungen eher, als dass man mit ihm mitleiden wollte.

Gerade hat er auf sensationelle Weise den amerikanischen Präsidenten im Interview regelrecht auseinandergenommen, da setzt er sich ab nach Südtirol, lässt sich in ein abgelegenes Kaff kutschieren und kommt schließlich auf dem einsamen Rosenkranzhof unter. Ohne Handy-Empfang, fließend Wasser und Fernsehen. In die Krise gestürzt hat ihn endgültig der scheinbar fiktive Roman seines Sohnes, der ihn unter dem Titel „Im Schatten des Allmächtigen" als gierig, geil und verantwortungslos charakterisiert hat.

Während Cleaver sich ebenso mühsam wie aktiv in das karge einsame Dasein in dieser Abgeschiedenheit einlebt, toben die Erinnerungen in der selbstgefälligen Gedankenwelt des Stillesüchtigen. Mag er dem permanenten Geräuschpegel seines bisherigen umtriebigen Lebens auch entflohen sein, dem eigentlichen Lärm kann er nicht entrinnen, schon gar nicht bei dem Beruf und der geltungssüchtigen Lebensführung. Es sind die abwesenden Personen, die ihn nicht zur Ruche kommen lassen wie die hassgeliebte Lebensgefährtin Amanda, die als Teenager verstorbene Tochter Angela, deren Verlust er nie verwunden hat. Und der schon immer aufmüpfige Sohn, dessen schlimmes literarisches Machwerk nun sogar für den Booker-Prize nominiert wurde.

Und wenn er sich diesen Persönlichkeiten seines Lebens einmal zu entziehen versucht, sind da die zahllosen Affären und anderer Erinnerungsmüll, der die Vergangenheit nicht zu bereichern vermag. Harold Cleaver wollte die Stille für einen notwendigen Akt der Reinigung, doch er findet keine Ruhe vor all den Stimmen im Kopf. Ob es Hoffnung oder gar Erlösung gibt für den 55-Jährigen in Form einer erneuten Begegnung mit der Vergangenheit oder gar mit einer Rückkehr in die Zivilisation – Autor Parks lässt es offen in diesem Ein-Mann-Stück mit Nebenrollen, das mit präziser Sprachgewalt den Blick auf ein Leben entwickelt, das man dem Protagonisten nicht neidet und das dennoch fasziniert.

 

# Tim Parks: Stille (aus dem Englischen von Ulrike Becker); 360 Seiten; Antje Kunstmann Verlag, München; € 22

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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