LILY BRETT: „CHUZPE"

Eine gute Komödie lebt von ihren Gegensätzen, aber auch von einem ernstzunehmenden Hintergrund. Diese Mischung ist Erfolgsautorin Lily Brett mit ihrem neuen Roman „chuzpe" grandios gelungen, wobei sie als Gegenspieler ihrer Protagonistin eine Vaterfigur erfunden hat, wie es sie kaum skurriler und zugleich liebenswerter in der Weltliteratur gibt.

Ruth Rothwax, 54, erfolgreich mit einem Korrespondenzbüro in New York, hat ihren Vater Edek aus dem fernen Australien in die Stadt geholt, damit der 87-jährige Witwer nicht so allein ist. Der quirlige Edek bedankt sich dafür in spezieller Weise. Diese Dankbarkeit entpuppt sich jedoch als Hilfsbereitschaft der nervtötenden Art, wenn er im Büro tonnenweise Papier oder Heftklammern bestellt und auch sonst immer wieder „hilfreich" ins Geschehen eingreift. Ruth versucht verzweifelt, ihn zu anderen Beschäftigungen zu animieren, doch Lesezirkel für Senioren und dergleichen tut er als „Schmonzes" für alte Leute ab. Andererseits liebt Ruth ihren Vater, der als Holocaust-Überlebender eine unglaubliche Lebensfreude präsentiert.

Im Gegensatz zu Ruth, die derzeit außer unter den Wechseljahren auch darunter leidet, dass ihr geliebter Gatte auf Monate berufsbedingt im Ausland weilt. Zudem laufen ihre Bemühungen, eine Gruppe zur Förderung der Frauensolidarität zu gründen, verquer und ihre Freundin Sonja nährt mit ihren sarkastischen Ansichten über Frauenbefindlichkeiten eher noch Ruths depressive Anwandlungen. Doch plötzlich macht sich Vater rar, und natürlich sorgt sich Ruth. Wahrhaft unnötig, denn – der fidele Edek hat sich verliebt! Schon auf einer gemeinsamen Reise waren Vater und Tochter in der alten polnischen Heimat den Witwen Zonja und Walentyna begegnet.

Beide Witwen sind jetzt nach New York gekommen, zwischen Edek und der 69-jährigen Zonja hat es mächtig gefunkt, und alle drei machen sich daran, ausgerechnet in New York City und ohne jede Vorkenntnisse ein Restaurant zu eröffnen.

Zonja, ein hoch sinnliches Vollweib, ist im Nu der Star bei „Klops braucht der Mensch", während Edek mit himmelschreibendem Optimismus und unwiderstehlicher Dreistigkeit – eben Chuzpe – solch hirnrissige Dinge in Gang setzt, dass sie in dieser Stadt einfach Erfolg haben müssen. Für Ruth ist es der blanke Wahnsinn, aber es hat seine frappierende Logik und alles entwickelt sich so wunderbar neurotisch und verrückt, dass es einen schier zum lauten Lachen hinreißt. Die intelligente und doch so betuliche Ruth, dazu Edek als Typ schlecht gekleideter Clark Gable und all die starken Charaktere rundherum, das sprüht vor Geist und Witz.

Ephraim Kishons jüdischer Humor lässt grüßen und Woody Allens Stadtneurotiker spielen ebenfalls mit. Urkomisch und zugleich sehr warmherzig hat Lily Brett diese vielleicht beste Komödie des Jahres geschrieben und zu einem hinreißenden anspruchsvollen Lesevergnügen gemacht.

 

 

# Lily Brett: Chuzpe (aus dem Amerikanischen von Melanie Walz); 334 Seiten; Suhrkamp Verlag, Frankfurt; 19,80

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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