RANA DASGUPTA: „DIE GESCHENKTE NACHT"

Als moderner Märchenerzähler erweist sich Rana Dasgupta in seinem Debütroman „Die geschenkte Nacht". Der in England geborene Autor liebt die klassischen Canterbury Tales, doch ebenso spürt man in den Geschichten, die eine ganze Nacht füllen, sein indisches Erbe an orientalischer Fabulierkunst.

Es setzt höchst prosaisch ein mit einem Jumbo-Jet, der wegen eines Schneesturms über Tokio auf einem ungenannten fremden Flughafen landen muss. 13 der über 300 Passagiere können in der wegen einer Messe überfüllten Stadt nicht hotelmäßig untergebracht werden und übernachten nun neben den stillstehenden Gepäckbändern. Müde und wortkarg sitzen sie da, bis einer von ihnen sagt: „Ich weiß eine Geschichte." Und er beginnt eine Art Märchen von Prinz Ibrahim und dem meisterhaften Schneider, den er ruiniert. Der verwöhnte Prinz ordert das prächtigste aller Gewänder, so dass der Schneider sich für die Zutaten verschulden muss. Doch dann wird ihm die Zulieferung im Palast verwehrt und er stürzt ins Unglück.

Auch die anderen Passagiere erzählen jeder ein Märchen, mal amüsant, mal sehr traurig oder tief bewegend, immer aber fesselnd und voller Fantasie. In diesen postmodernen Geschichten wie aus 1001 Nacht wechseln die Szenerien bis hin zu einem Frankfurter Kartografen oder einer Warschauer Bordelldame und selbst ein angeblicher unehelicher Sohn von Robert De Niro und seine magische Oreo-Kekse bringen schillernde Farben in diesen Reigen. Einer der großartigsten Höhepunkte aber ist jene Mär von den Zwillingskindern eines indischen Milliardärs, die dieser nach deren Geburt trennt, weil das Mädchen von großer Schönheit, der Junge dagegen von grotesker Missgestalt ist. Welch krass unterschiedliche Karrieren beide machen und auf welch seltsamen Wegen sie eines Tages dennoch zueinanderfinden, ist für sich allein schon ebenso packend wie filmreif erzählt.

Es hat etwas vom magischen Realismus eines Garcia Marquez, wie der junge Autor mit präziser und zugleich farbenfroher Erzählkunst diesen prächtigen Geschichtenteppich knüpft. Märchenhaftes für anspruchsvolle Leser ist das, intelligent und mit Charme zu einem feinen Lesevergnügen aufbereitet.

 

  # Rana Dasgupta: Die geschenkte Nacht (aus dem Englischen von Barbara Heller); 475 Seiten; Karl Blessing, München; € 22,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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