LOU REED: „PASS THRU FIRE"

Lou Reed zählt zu den absoluten Kultfiguren der Rock-Geschichte, obwohl er bis auf den Klassiker „Walk on the wild Side" nie einen großen Hit hatte. Doch der Mitbegründer der legendären Velvet Underground, die er Anfang der 70er Jahre verließ, hat als einer der genialsten Songschreiber überhaupt ein so großes und vielfältiges Werk als Künstler geschaffen, dass es ohnehin weit über den Status eines Hitparadenstars hinausgeht.

Der 1942 geborene Reed kreierte bereits in den 60er Jahren an der Seite Andy Warhols außergewöhnliche Texte, schrieb als Solokünstler für die triumphale LP „Transformer" sensationelle Songs und wandelte sich trotz viel Licht und Schatten in seiner musikalischen Karriere vom Underground-Kultstar zur international gefeierten Rockgröße, die zu Recht 1996 in die Rock & Roll Hall of Fame aufgenommen wurde. Kontrovers wie nur wenige und mit psychologischen Problemen durch seinen Drogenmissbrauch, zugleich sensibel, manisch und philosophisch, geht sein Schaffen weit über das eines Musikers hinaus.

Als hätte es des Beweises noch bedurft, legt er dazu nun das Kompendium aller je von ihm verfassten Songtexte vor und dieser gewaltige Band „Pass thru Fire" enthält auch jene zusammen mit John Cale anlässlich des Todes von Andy Warhol eingespielten „Songs for Drella". Von den frühen Alben der Velvet Underground mit dem morbiden „Venus in Furs" über den zynischen Text von „Sally can't dance" bis zur bitter-satirischen Anklage eines Vietnam-Krüppels in „Xmas in February" ist alles erfasst.

Von einfühlsamer Liebeslyrik und harscher Satire bis zur deftigen politischen Anklage reichen die oft wuchtigen Zeilen. Da gefriert einem bei „My red Joystick" fast das Blut, während „Modern Dance" als irrisierendes Stakkato fesselt. Rätselhaft, suggestiv, doppeldeutig, expressionistisch bis makaber, viele Adjektive treffen zu, nur zahm oder gar langweilig wird es bei diesem Sprachzauberer nie. Und wie sonst nur bei Bob Dylan und in Ansätzen John Lennon stehen Reeds Songtexte auch ohne Musik als eigenständige Lyrik auf höchstem Niveau.

Gewiss hat Lou Reed nicht die intellektuelle Brillanz und Souveränität eines Dylan, aber eine ähnliche poetische Kraft und er bekennt selbst, dass er sehr emotional schreibe. Mit ein Grund, warum seine Lyrik wie auch die beigefügten Prosapassagen derartig persönlich ansprechen. Für dieses Buch hat der Künstler zudem jeden Songtext selbst grafisch gestaltet und es dadurch zu einem Gesamtkunstwerk gemacht, das in den USA bereits zum begehrten Sammlerstück geworden ist. Das könnte auch mit der hochkarätig aufgemachten deutschen Ausgabe durchaus geschehen, denn die ist noch erweitert um die kongenialen Übertragungen ins Deutsche durch Manfred Allié. Ihm ist es weitgehend gelungen, Reeds Sprachmagie nicht durch pures Übersetzen zu entzaubern. Auch dadurch ist „Pass thru Fire" ein literarisches Juwel nicht nur für Rockfans.

 

# Lou Reed: Pass thru Fire. Alle Songs (aus dem Amerikanischen von Manfred Allié); 773 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 27,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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